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Mensch.Schifffahrt.Meer.
Von Tauben, Zahnpasta-Tuben
und neuen Freunden Kooperation U 524 und U 995 gestartet
Katrin Anna Lehnen & Paul-Patrick Schröder
Die Gesamtzahl der heute noch existierenden deutschen Unterseeboote, die im Zweiten Weltkrieg einge- setzt waren, ist überschaubar. Tatsächlich sind es nur noch vier Boote von einst über 1100 zwischen 1935 und 1945 gebauten Einheiten, die der Versenkung oder Verschrottung entgingen. Kein Wunder also, dass diese erhaltenen Zeitzeugen heutzutage als Museen Abertausende Interessierte begeistern. Zwei dieser Muse- umsboote – U 995 in Laboe und U 534 in Birkenhead im Vereinten Königreich – möchten fortan eine neue gemeinsame Geschichte schreiben.
A uf zu neuen Ufern! Im wahrsten Sinne des Wortes, denn es ist eine Premi- ere, dass sich die neuen „Bootsbesatzun- gen“ gegenseitig besuchen wollen. Den Auftakt machte im Juli 2022 eine Delega- tion der MK U 995 auf Einladung der briti- schen Kollegen von U 534. Zwei Mitglieder mit marinehistorischem respektive mari- tim archäologischem Hintergrund mach- ten sich auf den Weg nach Birkenhead am River Mersey. Neben dem persönlichen Kennenlernen des Teams und der Besich- tigung des Bootes waren es vor allem die intensiven Fachgespräche über Status quo und Zukunftsvisionen beider Museumspro-
jekte, die die Crews zusammenbrachten.
Bootsgeschichte
U 534 ist ein Typ IX C/40-Boot und wurde am 23. Dezember 1942 in Hamburg in Dienst gestellt. Die Boote dieser Klasse waren größer als die sogenannten Atlan- tikboote des Typs VII und speziell für den Einsatz über große Distanzen fernab der Heimat konzipiert worden. Unter dem Kommando von Kapitänleutnant Herbert Nollau konnte U 534 auf drei Feindfahr- ten keine Schiffe versenken, jedoch einen britischen Wellington-Bomber abschie- ßen. Einen Tag nach der Teilkapitulation am 4. Mai 1945 lief U 534 vollausgerüs- tet im Konvoi mit zwei Typ XXI-Booten Richtung Norwegen aus – entgegen der Order, dass alle Einheiten nach Deutsch- land zurückkehren oder dortbleiben soll- ten. Der Konvoi wurde von britischen Auf- klärungsflugzeugen vom Typ B-24 Libe-
rator im dänischen Kattegat entdeckt, die den Auftrag hatten, derartige Durch- bruchsversuche zu verhindern. Das Feuer wurde eröffnet, die Typ XXI-Boote konnten abtauchen, U 534 eine Liberator abschie- ßen, sank aber in Folge einer zweiten Angriffswelle. Fast die komplette Besat- zung konnte das sinkende Boot rechtzei- tig verlassen, fünf Besatzungsmitglieder mussten mit Hilfe von Tauchrettern not- aussteigen, nachdem das Boot auf dem Meeresboden aufgesetzt hatte. Für drei der Männer kam dennoch jede Hilfe zu spät, einer starb an einem Lungenriss, die anderen an Ertrinken durch Erschöpfung oder an ihren durch den Angriff erlittenen Verletzungen.
Im Jahr 1986 wurde das Wrack nach eini- gen fehlgeschlagenen Lokalisierungs- bzw. Identifizierungsversuchen wiederent- deckt. Keine Toten – kein Seekriegsgrab. Fluch und Segen zugleich, denn somit war eine Bergung des Wracks rechtlich mög-
lich. Die Intention dahinter? Gerüchte über einen „Nazi-Goldschatz“, der mit hochran- gigen Parteimitgliedern im Boot nach Süd- amerika evakuiert werden sollte. Ein däni- scher Schatzsucher bekam schließlich die Bergungsrechte zugesprochen und ließ U 534 im Jahr 1993 durch eine nieder- ländische Bergungsfirma aus 67 m Tiefe heben. 6,5 t Munition (darunter auch drei Exemplare des seltenen lageunabhän- gigen akustischen Torpedos G7es [T XI] Zaunkönig II) wurden an Bord gefunden, der Großteil davon direkt vor Ort vernich- tet. Wissenschaftliche Interessen wurden nur peripher berücksichtigt, im Fokus stand stets der Goldschatz, der aber nicht gefunden wurde.
Nach dieser, aus der Sicht der Schatzsu- cher ernüchternden Erkenntnis wurde U 534 im Jahr 1996 an die britische Organi- sation Warship Preservation Trust mit dem Ziel verkauft, ein Museum aus dem Boot zu machen. Nach der Insolvenz der Orga-
20 Leinen los! 10/2022
In mehrere Sektionen zerschnitten, liegt das Boot neben einem Fähranleger
Fotos: Paul-Patrick Schröder


































































































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