Page 24 - OstseeZeitung (+19.01.2017)
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IV     OSTSEE−ZEITUNG                                                                  KINO                                                                  Donnerstag, 19. Januar 2017




                                                                                                                                                                       MWAS NOCH LÄUFTM


                                                                                                                                                                      Leben als Baustelle:
                                                                                                                                                                      „Diamond Island“

                                                                                                                                                                      Da reist man im Kino via Film ins
                                                                                                                                                                      ferne Kambodscha und stellt hin-
                                                                                                                                                                      terher doch ein wenig überrascht
                                                                                                                                                                      fest, dass sich dort in Zeiten der
                                                                                                                                                                      Globalisierung die jungen Leute
                                                                                                                                                                      ganz ähnlich wie bei uns verhalten.
                                                                                                                                                                      Zumindest wenn es um ihre Frei-
                                                                                                                                                                      zeit geht. „Reiseführer“ in „Dia-
                                                                                                                                                                      mond Island“ ist der 18-jährige Bo-
                                                                                                                                                                      ra (Sobon Nuon), ein Junge vom
                                                                                                                                                                      Lande, der als Handlanger bei
                                                                                                                                                                      einem riesigen Bauprojekt am
                                                                                                                                                                      Rande der Millionen-Metropole
                                                                                                                                                                      Phnom Penh arbeitet. Er ist mit
                                                                                                                                                                      seiner Clique aus Gleichaltrigen in
                                                                                                                                                                      einer Baracke untergebracht,
                                                                                                                                                                      schuftet tagsüber für wenig Geld
                                                                                                                                                                      und verbringt die Feierabende mit
                                                                                                                                                                      seinen Kumpels. Es wird viel abge-
                                                                                                                                                                      hangen und fantasiert – vor allem
                                                                                                                                                                      über die Mädchen im neuen Stadt-
                                                                                                                                                                      teil Diamond Island. Auf eine dra-
                                                                                                                                                                      matische Wendung wartet man in
                                                                                                                                                                      Davy Chous Film vergeblich. Dann
                                                                                                                                                                      trifft Bora seinen älteren Bruder,
                                                                                                                                                                      der schon vor Jahren in die Haupt-
                                                                                                                                                                      stadt gegangen ist und einen
                                                                                                                                                                      „Sponsor“ hat, der ihn in die USA
                                                                                                                                                                      holen will. Bora hofft, dass er den
                                                                                                                                                                      Bruder begleiten darf. eco  ★★★☆☆

                                                                                                                                                                      „Diamond Island“, Regie: Davy
                                                                                                                                                                      Chou, 99 Minuten, FSK 0

        Brüder mit Vergangenheit: Lee Chandler (Casey Affleck, rechts) und sein Bruder Joe (Kyle Chandler).                                            FOTO: UNIVERSAL  Wahn: „Verborgene
                                                                                                                                                                      Schönheit“
                                            Der Schmerz sitzt tief                                                                                                    Alle großen Worte haben für das
                                                                                                                                                                      PR-Genie Howard (Will Smith)
                                                                                                                                                                      nach dem Tod seiner Tochter ihre
                                                                                                                                                                      Kraft verloren. Sein Unternehmen
                                                                                                                                                                      steckt in der Krise, und Howard ist
                  Überragend: Golden-Globe-Gewinner Casey Affleck im Drama „Manchester by the Sea“                                                                    für seine Co-Chefs nur noch eine
                                                                                                                                                                      Last – und wunderlich. Er schreibt
                                                                                                                                                                      Briefe an „Liebe“, „Zeit“ und „Tod“.
        Von Stefan Stosch                Lee setzt sich nach dem Telefonat  Immer wieder taucht Lonergan in  sich Lee und Randi irgendwann in  Vaters erwischt. Und wird Lee die   Die Agentur-Freunde nehmen ein
                                       sofort  ins  Auto.  Sein  herzkranker  Rückblenden  in  Lees  Vergangen-  dem winzigen Städtchen begegnen.  Erwartungen  des  Neffen  erfüllen,  Schauspielertrio unter Vertrag, das
        Das Kap Ann nördlich von Boston ist  Bruder Joe (Kyle Chandler) ist so-  heit  ab.  Ganz  langsam  erschließt  Lee ist dem zufälligen Zusammen-  der mit der Arroganz der Jugend von  Liebe (Keira Knightley), Tod (Helen
        ein  pittoreskes  Plätzchen.  Fischer-  eben eines frühen Todes gestorben.  sich die Tragödie, an der die Bezie-  treffen nicht gewachsen, lässt Randi  der Pein des Onkels gar nichts mit-  Mirren) und Zeit (Jacob Latimore)
        boote  schaukeln  auf  den  Wellen,  Lee schafft es nicht mehr rechtzeitig  hung mit seiner früheren Frau Randi  vor dem Supermarkt einfach stehen.  zubekommen scheint? Affleck spielt  personifizieren soll. Howards
        Möwen kurven im Wind. Im Kont-  in die Klinik. Er erfährt, dass er die  (Michelle  Williams)  zerbrach.  Die  Zumeist  aber  regelt  er  Papier-  mit wunderbarer Gedämpftheit, in  Wahnvorstellungen sollen so unter
        rast zur Atlantik-Idylle aber steht der  Vormundschaft für seinen 16-jähri-  tiefen Verletzungen, die sich die bei-  kram und kutschiert seinen Neffen  der  humorvolle  Momente  aufblit-  Beweis gestellt werden, aber die
        Schmerz, den die Menschen im Dra-  gen Neffen Patrick (Lucas Hedges)  den gegenseitig beibrachten, wer-  durch  die  Gegend.  Patrick  ist  ein  zen. Dafür wurde er in der vorigen  Auftritte entwickeln ungeahnte
        ma „Manchester by the Sea“ mit sich  übernehmen soll. Dazu müsste er in  den nicht mehr als unbedingt not-  echter  Hallodri  mit  gleich  zwei  Woche  mit  dem  Golden  Globe  als  therapeutische Effekte. „Verborge-
        herumtragen.                   den  Fischerort  Manchester  umzie-  wendig rekapituliert. Der Regisseur  Freundinnen, die nichts voneinan-  bester  Hauptdarsteller  in  einem  ne Schönheit“ ist ein aufdringlicher
          Beinahe  zweieinhalb  lohnende  hen, so hat es der Bruder vorgese-  lässt Leerstellen in seiner Erzählung.  der  wissen.  Doch  gerade  weil  der  Drama gekürt.  esoterischer Lebensratgeber in
        Kinostunden dauert es in Kenneth  hen. Aber ist Lee, dem  bei diesem  Er weiß, dass seine Zuschauer diese  Teenager  so  arrogant  und  altklug  Man darf sich „Manchester by the  Bildern. schw  ★☆☆☆☆
        Lonergans Drama, bis die Zuschauer  Gedanken sichtbar unwohl ist, dazu  schon  mit  ihrer  Fantasie  zu  füllen  auftritt,  fragt  man  sich,  wann  ihn  Sea“  keineswegs  als  zu  großer
        die  ganze  Tiefe  der  Verletzungen  in der Lage?            wissen.  Unumgänglich  ist  es,  dass  wohl die Trauer über den Tod seines  Theatralik neigenden Film vorstel-  „Verborgene Schönheit“, Regie:
        ausgelotet  haben.  Der  Regisseur                                                                                           len. Das Dramatische liegt hier in der  David Frankel, 97 Minuten, FSK 6
        und Drehbuchautor gesteht seinen                                                                                             Geschichte selbst. Diesen Hang, das
        Figuren enormen emotionalen Frei-                                                                                            Spektakuläre  im  Unspektakulären
        raum  und  gelegentlich  auch  nicht  Ben Afflecks kleiner, großartiger Bruder                                               zu suchen, hat Lonergans Film mit
        restlos erklärbare Reaktionen zu. Sie                                                                                        mindestens  zwei  anderen  derzeit
        sollen mehr als nur funktionieren in-  Wie ein räudiger Hund wirkte er, als   seurs Ben Affleck („Argo“) zu einem   Mit seinem Auftritt in „Jesse James“   hoch gehandelten Oscar-Filmen ge-
        nerhalb seiner Geschichte.     er in „Die Ermordung des Jesse James   der führenden Darsteller Hollywoods   war Affleck für Oscar, Golden Globe   mein: mit der Liebesgeschichte „Lo-
          Der Film beginnt im grauen Bos-  durch den Feigling Robert Ford“ den   für gebrochene Charaktere hochge-  und Screen Actors Guild Award nomi-  ving“ zwischen einem Weißen und
        ton,  wo  der  verschlossene  Haus-  von Brad Pitt gespielten Ex-Banditen   arbeitet. Zuletzt war er in dem Seeret-  niert, mit „Manchester by the Sea“ hat   einer Schwarzen (Kinostart: 23. Feb-
        meister Lee (Casey Affleck, der klei-  mit einem trockenen „Piff-paff-puff“   tungsdrama „The Finest Hours“ mit   er jetzt den Globe gewonnen. Chan-  ruar) und mit der Coming-of-Age-
        ne Bruder von Ben) im Dauerclinch  seiner Pistole niederstreckte. Casey   Chris Pine zu sehen. Starke Stücke   cen bei den Oscars? Unbedingt. In   Story „Moonlight“           (9. März, Gol-
        mit Mietern liegt. Dann bekommt er  Afflecks (41) Bösewicht Robert Ford   waren auch das Thrillerdrama „Gone,   diesem Jahr wird Affleck als Gespenst   den  Globe  fürs  beste  Filmdrama).
        einen Anruf. Er antwortet mit  weni-  blieb stärker im Gedächtnis haften als   Baby, Gone“, in dem Bruder Ben Re-  in David Lowerys „A Ghost Story“ zu   Große  Themen  spiegeln  sich  im  Gebrochener Mann: Howard (Will
        gen Worten, so wie er  seine Gefühle  Pitts Räuberhauptmann Jesse. Ver-  gie führte (2007), und die Gus-Van-  sehen sein. Ebenfalls unter Lowerys   Kleinen.  Mit  „Manchester  by  the  Smith) schreibt seltsame Briefe.
        zumeist hinter Schweigen verbirgt.  schlagener Blick, linkische Haltung –    Sant-Filme „Good Will Hunting“   Regie entsteht die Bankräuberge-  Sea“ macht Kenneth Lonergan alle  FOTO: WARNER
        Nach einigen Bieren aber kann es  Inbegriff eines falschen Heldentums.  (1997) und „Gerry“ (2002). Für „Man-  schichte „The Old Man and the Gun“   glücklich – zuallererst die Zuschau-
        schon mal sein, dass er unverhofft in                         chester“-Regisseur Kenneth Lonergan   mit Affleck und Robert Redford. Und   er.      ★★★★☆       INFO: Das vollständige
        einer Bar zuschlägt, wenn er das (ir-  Mit Beharrlichkeit hat sich der fast   spielte er im Londoner West End in   in der Westernserie „Lewis and Clark“       Kinoprogramm für Rostock und
        rige) Gefühl hat, dass andere Gäste  auf den Tag genau drei Jahre jüngere   dessen Bühnenstück „Das ist unsere   wird er als Pionier Meriwether Lewis   „Manchester by the Sea“, Regie: Ken-  Warnemünde finden Sie täglich
        ihn mit Blicken belästigen.    Bruder des Schauspielers und Regis-  Jugend“.                 2018 in den Westen vordringen.       big  neth  Lonergan,  138  Minuten,  FSK  12  auf der OZ-Termin-Seite.



                 Wo der König                                                                       Die Geister, die sie rief


                 ein Toaster ist                                                  Ein kruder Mix aus Horror, Krimi, Psychotrip: „Personal Shopper“ mit Kristen Stewart


                                                                      Von Stefan Stosch                                                                             zeitlich unfreiwillig komisch. Den-
                Animiertes Metall: Der Kinderfilm                                                                                                                   noch  brachte  „Personal  Shopper“
                                                                      Kommunizieren Geister heutzutage                                                              dem  Filmemacher  den  Regiepreis
               „Ritter Rost – Das Schrottkomplott“                    womöglich  per  Smartphone?  In                                                               einer Jury ein, die gleichzeitig Ma-
                                                                      „Personal  Shopper“  des  französi-                                                           ren Ades „Toni Erdmann“ leer aus-
        Von Jörg Brandes                                              schen  Regisseurs  Olivier  Assa-                                                             gehen ließ. So viel zur Gerechtigkeit
                                                                      yas sieht es jedenfalls ganz danach                                                           von Preisen bei Festivals.
        Schrottland ist so gut wie bankrott,                          aus. Da scheint sich ein Gespenst                                                               Der  Zuschauer  muss  sich  an-
        auch  den  Rittern  drohen  damit                             geradezu zu einem digitalen Stalker                                                           strengen, um über all den Hokuspo-
        Sparmaßnahmen.  Um  zu  bewei-                                zu entwickeln, weshalb man viel auf                                                           kus  hinwegzusehen  und  die  fein-
        sen, dass er und seine Zunftgenos-                            Handydisplays starrt – was die visu-                                                          fühlige  Leistung  von  Kristen  Ste-
        sen für die Sicherheit des Reichs                             elle  Anziehungskraft  des  Films                                                             wart anzuerkennen. Im Kern sucht
        unerlässlich  sind,  heckt  Kinder-                           nicht erhöht, auch wenn sich Assa-                                                            hier eine durch den frühen Tod ihres
        buch-, TV- und Kinostar Ritter Rost                           yas einiges einfallen lässt bei einer                                                         Bruders  tief  verunsicherte  junge
        bei seinem zweiten Leinwandauf-                               Fahrt durch Paris, um nicht ganz das                                                          Frau nach Halt in einem Leben, von
        tritt einen Plan aus. Doch der geht                           erzählerische Tempo zu verlieren.                                                             dem sie sich selbst abgestoßen fühlt.
        so schief, dass alle Ritter entlassen  Unterwegs zu Luftschlössern: Rost   Immerhin: Kristen Stewart ist die                                                Bei der Trauerarbeit helfen tröpfeln-
        werden. Nun tritt Rost in die Fuß-  auf seinem Pferd Feuerstuhl mit   von Textnachrichten Bedrängte. Mit  Auf der Suche nach Halt: Was Maureen Cartwright (Kristen Stewart) stattdes-  de Wasserhähne und schemenhafte
        stapfen  seines  Tüftlervaters.  Mit  Herrn Gespenst.  FOTO: UNIVERSUM  einer ebenso nervösen wie konzen-  sen trifft, sind schemenhafte Wesen aus der „Twilight Zone“.  FOTO: WELTKINO  Wesen aber nicht unbedingt weiter.
        seinen Erfindungen versorgt er die                            trierten  Vorstellung  versucht  sie                                                            Dem  Ex-„Twilight“-Teeniestar
        wachsende  Polizeiarmee  der  lu-  geschraubte Animationswelt sehr  dieses krude Cross-over von Horror,  für ihren nur kurz in diesem Film  der Zuschauer. Und dann gespens-  Stewart dürfte dieser kuriose Aus-
        xussüchtigen Königstochter Mag-  eigen gestaltet. König Bleifuß etwa  Krimi und Psychotrip zu retten.  auftauchenden  Boss  (Nora  von  tert doch mehr in diesem Film, als  flug ins Gespensterfach nicht scha-
        nesia. Es liegt am patenten Burg-  hat einen Toaster als Rumpf. Die  Kristen Stewart spielt Maureen,  Waldstätten) einzukaufen.   man es für möglich gehalten hätte.  den. Die US-Amerikanerin hat sich
        fräulein Bö, Rost zur Räson zu brin-  visuelle  Originalität  geht  mit  er-  die Assistentin eines Stars, eine ähn-  Ganz bei der Sache ist Maureen  Assayas („Carlos – Der Schakal“)  längst schon von ihrer vampirischen
        gen  und  mit  seiner  Hilfe  das  zählerischem Reichtum einher. Ob  liche Rolle wie auch schon in Assa-  aber nicht: Ihr Zwillingsbruder Le-  lässt sich ganz konkret und gänzlich  Existenz als Isabella „Bella“ Swan
        Schlimmste zu verhindern.     die für einen Kinderfilm gewagten  yas’  Vorgängerfilm  „Die  Wolken  wis ist jüngst an einem Herzfehler  unironisch auf Geisterspiele ein. Ek-  befreit und geht neue cineastische
          Die Leibwächter des Königs se-  Anspielungen auf die Finanzkrise  von Sils Maria“ – da lernte sie zu-  gestorben, an dem auch sie selbst  toplasma-Wolken  wabern  durch  Wege. Im wirklichen Leben ist Kris-
        hen verdächtig nach den Minions  zur anvisierten Zielgruppe durch-  sammen mit ihrer Chefin Juliette Bi-  leidet. Die beiden hatten sich ver-  dunkle   Räume,   Wassergläser  ten Stewart übrigens mit ihrer frü-
        aus, Prinzessin Magnesia erinnert  dringen, ist indes fraglich. ★★★☆☆  noche Drehbücher. Nun ist Stewarts  sprochen,  dem  anderen  im  Falle  schweben durch die Luft und gehen  heren persönlichen Assistentin Ali-
        an  Helena  Bonham  Carters  Rote                             Maureen auf eiligen Shoppingtou-  ihres  Todes  ein  Zeichen  aus  dem  auch schon mal zu Bruch. Bei der  cia Cargile zusammen.  ★★☆☆☆
        Königin aus den „Alice im Wun-  „Ritter  Rost  2  –  Das  Schrottkom-  ren quer durch Europa unterwegs,  Jenseits zu geben. Darauf wartet die  Premiere  in  Cannes  sorgte  dieser
        derland“-Filmen.  Ansonsten  ist  plott“,  Regie:  Thomas  Bodenstein,  um auf Fashionshows und in Edel-  für  übernatürliche  Erscheinungen  Mummenschanz  für  abfällige  La-  „Personal Shopper“, Regie: Olivier As-
        Ritter Rosts aus Metall zusammen-  Marcus Hamann, 84 Minuten, FSK 0  boutiquen  überteuerte  Klamotten  empfängliche Maureen und mit ihr  cher, denn die Sache wird zwischen-  sayas, 110 Minuten, FSK 12
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