Page 136 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Gottl. Friedr. Lipps.
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die Aufgabe, die Welt der Einzeldinge zu erforschen. Diese Dinge
müssen allerdings schon vor dem Eintritt in die Untersuchung mit
Bestimmungen behaftet sein, da sie nur als irgendwie bestimmte Dinge
gegeben sein können. Aber die bereits erkannten Bestimmungen
kommen wesentlich nur, sofern sie den Ausgangspunkt der Forschung
bestimmen und eine vorläufige Abgrenzung des Forschungsgebietes
ermöglichen, in Betracht. Die weiterschreitende Untersuchung hat
vielmehr die Gegenstände, so wie sie in der Wirklichkeit Bestand
haben, allseitig zu erforschen, indem sie die Gesammtheit der ihnen
zukommenden Bestimmungen aufsucht und feststellt. Der Vollzug
dieser Bestimmungen erfolgt durch das Denken und lässt die Be-
schaffenheit der erforschten Dinge zu Tage treten. Die Beschaffenheit
wird jedoch nicht durch das Denken erzeugt oder verändert, sie wird
nur beachtet und anerkannt. Das Beachten und Anerkennen des
thatsächlich Bestehenden, die Erfahrung, ist demgemäß hier die
Quelle der Erkenntniss, und jede auf Grund der bisherigen Erfahrung
gewonnene Erkenntniss muss durch fortgesetzte Erfahrung ihre Be-
stätigung oder Berichtigung finden.
Die Wissenschaft vom gegenständlich Bestehenden ist darum als
Erfahrungswissenschaft zu bezeichnen. Da indessen jeder Er-
fahrungsinhalt sich als ein System von Bestimmungen darbietet, die
in Denkakten gegenständlich vorliegen, so ist nur eine in den Formen
des Denkens sich vollziehende Erfahrung möglich und jede auf Er-
fahrung beruhende Erkenntniss kann nur die Verwirklichung einer
dem Denken möglichen Erkenntniss sein. Denn es könnte vom
gegenständlich Bestehenden gar nicht die Rede sein, wenn es nicht
durch die Bethätigung des Denkens seine Bestimmung fände.
Der Satz »alles gegenständlich Bestehende findet durch
das Denken seine Bestimmung« hat somit als Grundsatz der Er-
fahrungswissenschaft in ihrem ganzen Umfange zu gelten.
Hiernach hat jede der beiden Wissenschaften ihre besondere Auf-
gabe. Sie stehen jedoch unbeschadet ihrer Selbständigkeit in Wechsel-
wirkung, sofern einestheils das Denkmögliche in der Erfahrung seine
Verwirklichung findet, und anderseits das erfahrungsgemäß Be-
stehende, da es durch das Denken begriffen wird, die Spuren der
Denkarbeit an sich trägt und die Formen, in denen das Denken sich
bethätigt, erkennen lässt.