Page 43 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.  31
     Raum zu maclien.   Hierzu möchte  icli mich beschränken, eine Stelle
     aus meinem »Bewegungsbegriff« zu erneutem Abdruck zu bringen.
    Es  heißt  da'^): »Wenn   nicht Newton dogmatisch      seinem ab-
    soluten Raum   die Eigenschaft  eines Inertialsystems  beigelegt hätte,
     so würde über die Bewegung zu ihm von Newton 's eigenem Stand-
    punkte aus empirisch Nichts festzustellen zu sein.  Man kann  sich
    nicht  wundern,  an einem   ,transcendenten Objecte'  etwas Empiri-
     sches wiederzufinden, wenn man  selber  es vorher, wiewohl in etwas
     anderer Gestalt, künstlich«  (d. h. ohne jede Begründung,  rein dog-
    matisch) »hineinverlegt hat. Nur daraus, dass Newton seinen trans-
     cendenten absoluten Raum mit jener der Empirie zugängHchen Eigen-
     schaft ausstattete,  ist es überhaupt erklärhch,  dass der Begriff der
     absoluten Bewegung auf so lange Zeit in die "Wissenschaft übergehen
    konnte.  Andernfalls würde er, wie  ein Himgespinnst ohne jeghche
    Anwendbarkeit auf gegebene Fälle, alsbald wieder daraus verschwunden
     sein.  So aber bleibt an dem Begriffe der absoluten Bewegung doch
    immerhin ein werthvoUer Kern, bestehend in demjenigen, was er mit
    dem Begriffe der Inertialdrehung gemein hat«.
        Der  letzte  Satz  dieser  Selbstanführung  enthält  auch  meine
     Stellungnahme zu  der weiteren Bemerkung Frege's: »Mir scheint
     der Unterschied zwischen Newton's Lehre und der des Verfassers
    nicht  so groß, wie diesem.  Ich verkenne aber durchaus nicht, dass
     des Letzteren Bemühungen die Frage um ein gutes Stück gefördert
    haben« ^^). — Ich selber habe mich niemals darüber getäuscht, dass der
    physikalische Kern des Begriffes des Inertialsystems nicht mein
     geistiges Eigenthum, sondern dasjenige des großen Briten ist.  Mir
     lag ledighch  die methodologische und erkenntnisstheoretische Auf-
     gabe ob, von diesem Kern die überflüssige metaphysisch-dogmatische
     Schale loszulösen und ihn so in seiner ganzen »eukhdischen Durch-
     sichtigkeit« vor Aller Augen zu stellen. Und dass mir dies gelungen ist,
     erkennt Frege, wie mir scheint, im weiteren auch an, wenn er, in Um-
     kehi-ung des schon oben angeführten Gedankenganges sagt, dass der
     nach Newton's Worten freilich transcendent reale absolute Raum in
     Wii-klichkeit versteckter Weise dennoch mit der Erfahrung verknüpft
     sei, und wenn er dann   fortfährt:  »Es  ist kein geringes Verdienst
     des Verfassers,  an  die  Stelle  dieser versteckten Verknüpfung eine
     klar  ausgesprochene  gesetzt  zu  haben.  In  der New ton 'sehen
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