Page 486 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Vordergrund drängen, während die vor dem Eintritt des Schlafs vor-
handene Zielvorstellung verschwindet. Dabei zeigen sich die Wahr-
nehmungsvorstellungen stärker als die ßeproductionsvorstellungen,
obwohl die Reizschwelle im Ganzen höher liegt als beim wachen Be-
wusstsein und obwohl es sich ferner hier auch nur um ungemein
schwache Reize handelt. Dies Verhalten steht nicht nur im Gegen-
satz zum wachen Leben, in dem ja für gewöhnlich die somatischen
Sensationen gegenüber dem apperceptiven Denken völlig zurücktreten
und nur bei besonders darauf gerichteter Aufmerksamkeitsanspannung
ins Bewusstsein kommen, sondern man findet auch bei den Spät-
träumen, die gegen Ende der ganzen Schlafenszeit vor sich gehen
und den Hauptgegenstand der meisten Traumuntersuchungen bilden,
dass hier manchmal somatische Sensationen und sogar periphere
Reize percipirt werden, die sich nicht der Traumsituation einfügen oder
wenigstens nicht in den Vordergrund des Traumbewusstseins rücken.
Auffallend war, dass häufiger akustische als optische Reize als
Quelle meiner Schlummerbilder zur Beobachtung gelangten, obwohl
meine sensorische Veranlagung stark nach der optischen Sphäre hin
gravitirt. Jedoch handelt es sich bei den Beispielen des Einflusses
akustischer Eindrücke nicht um entotische, sondern vielmehr um con-
tinuirliche periphere Geräusche, die ja, vor allem beim Aufenthalt in
einer größeren Stadt, viel eher zur gelegentlichen Beobachtung kom-
men, als etwa continuirliche Reize optischer Natur, die wir leicht
durch Augenschluss und Verdunkelung des Schlafraums abzuschließen
vermögen.
Ein besonders anschauliches Beispiel ist folgendes: Ich lag auf
einer Reise in Leipzig Abends im Hotelbett und erinnerte mich eines
Gesprächs vom letzten Tag, in dem mich ein Verwandter danach
gefragt hatte, was Bauchfellentzündung sei; ich reproducirte weiter,
dass ich auf jene Frage hin die Lage des Bauchfells beschrieb, wie
es die Unterleibsorgane alle überzieht, und zu schildern suchte, wie
es nun von einer Stelle aus in Entzündung geräth, die sich dann
rasch über größere Partien hinzieht, gleich einer feindlichen Invasion.
Dabei hatte ich die anschauliche Vorstellung einer hügehgen Land-
schaft, über deren wellige Oberfläche sich ganz ähnlich eine gefähr-
liche Erscheinung hinzieht, etwa ein Kriegsheer, über Berg und Thal;
ich sah die Heerschaaren vor mir und hörte mit sinnlicher Lebhaftig-