Page 490 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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478 W. Weygandt.
Vordergrund, doch spielt daneben auch noch ein akustischer Reiz
eine Rolle. Ich setzte mich spät Abends müde an einen Tisch und
wollte noch etwas lesen. Dabei saß die Lampenglocke nicht fest auf
ihrem Gestell, sondern wackelte etwas hin und her, so dass das Licht
zu flackern schien; zugleich entstand dadurch ein leichtes Geräusch.
Plötzlich wurde die Leetüre unterbrochen und ich sah einen Vogel,
der in einem Käfig unruhig und lärmend umherhüpfte. Der Käfig
wurde ungefähr an die Stelle locaUsirt, wo die Lampe wirklich stand;
die Sprungbewegungen des Vogels entsprachen dem Tact des Schwan-
kens der Lampenglocke und des dadurch hervorgerufenen Wechsels
der Lichtmenge, die auf meine Augen fiel; der Lärm des Vogels
correspondirte dem Geräusch der Lampe.
Von weiteren peripheren Reizen continuirlicher Art beeinflussen
vornehmlich Tasteindrücke unsere Schlummerbilder. Auf der Eisen-
bahn fahrend erinnerte ich mich an ein vor kurzem geführtes Ge-
spräch über die »Versunkene Glocke«. Ich sah dabei die Figur der
Rautendelein vor mir, sie schien zu schweben, plötzlich schlug sie
Purzelbäume auf Händen und Füßen; in tactmäßigen Bewegungen
erfolgten diese Sprünge von Händen zu Füßen u. s. w. Ich glaubte
diesen Tact an mir selbst zu spüren und fand doch im Traume die
tactmäßige Bewegung der Figur ungemein absurd, als ich erwachte
und constatiren konnte, dass die Stöße von dem fahrenden Eisen-
bahnzug in ganz dem gleichen Tact ausgingen.
Nicht selten sind Schlummerbilder wie das, in dem ich mein
Kniegelenk geöffnet zu sehen glaubte, während ein im "Wachen nicht
zur Wahrnehmung gekommener Kitzel am Bein zu Grund lag, oder
jenes, in dem ein Jucken am rechten Unterschenkel die Vorstellung einer
Stichwunde erweckte. Die dem tactilen Reiz entsprechende Berührungs-
empfindung ist hier bereits mit einer optischen Vorstellung assimihrt.
Besonders von der entzündlich gereizten Bindehaut des Auges können
derartige Sensationen ausgehen, welche alsbald die Schlummerbilder
nicht beeinflussen, während sie vor Eintritt des Schlafbewusstseins meist
gar nicht percipirt worden waren; optische Vorstellungen sind dabei be-
vorzugt.
Als ich einst mit schmerzender Conjunctiva dalag und an psycho-
logische Fragen dachte, tauchte mit dem Eintritt des Schlafs die
Vorstellung auf, ich sei nahezu erblindet und spreche darüber mit