Page 495 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
P. 495
Beiträge zur Psychologie des Traumes,
483
dort gelegentlich als ReflexhaUucinationeii oder Reflexillusionen be-
zeichnet worden sind. So äußerte eine Kranke, sobald eine Thüre
zugeschlagen wurde, stets lebhafte Gefühlsstörungen, rief »Sie brechen
mich ab!« und suchte sich gegen die vermeintliche schmerzhafte
Berührung zu schützen.
Es würde zu weit führen, an dieser Stelle auf die Frage der
associativen Verknüpfung der Traumvorstellungen eingehen zu wollen,
da diesen Problemen nicht näher getreten werden kann, ohne die
Frage der Associationen überhaupt aufzurollen, auch wenn man sich
auf den Standpunkt versetzt, unter Association nicht eine Bedingung
sondern
für die Reproduction , letztere selbst verstehen zu wollen.
Zweifellos könnten die Untersuchungen über die associativen Ver-
bindungen nur gewinnen, wenn dabei auch das Material der Traum-
psychologie wie das der Psychopathologie mehr in Berücksichtigung
gezogen würde. Freüich ist die Beurtheüung des Traummaterials,
das uns von fremden Beobachtern dargeboten wird, ungemein schwierig.
Je genauer ein Traum reproducirt wird, um so verwickelter erscheinen
uns meist die Zusammenhänge. Ein Beispiel hierfür möge folgender
Traum bieten: Ich dachte beim Einschlafen an eine darstellende
Künstleriu, die ich einmal in einer ausländischen Stadt gesehen hatte
und die mii- so schön erschienen war, dass man sie sich zur Frau hätte
wünschen können. Im ELuschlafen setzte ich diese Reflexionen fort:
eine solche Heirath müsste ich freihch vor meinen Verwandten ver-
heimlichen, ich könnte jene als Frau nicht zeigen, aber doch würde ich
sie in Deutschland versteckt halten. Die Vorstellungsreihe ging weiter:
»wie etwas Gefährliches hätte ich sie behütet«. Diese Vorstellungs-
reihe war begleitet von den optischen Vorstellungen der Schriftbilder
jener Wörter, und zwar der stenographischen. An Stelle des Zeichens
für »hätte« sah ich jedoch das Zeichen für „. ^ _. _
Flg. 2. Fig. 3.
»hatte« (Fig. 2), dabei tauchte der jenem
Zeichen etwas ähnlich sehende, schnörkelhafte
Schriftzug des türkischen Wappens (Fig. 3)
optisch vor mir auf, und ich sah mich zugleich
in die Türkei versetzt. Der Fortgang der
associativen Reihe hatte hier also an eiue
ihrerseits schon nur mangelhaft zutreffende und wenig betonte Be-
gleitvorstellung angeknüpft. Angesichts solcher, wohl nur in seltenen
31*