Page 497 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Beiträge zur Psychologie des Traumes.
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     selber schon um -eine Erinnerungsvorstellung handelt.  Doch auch
     aus  den Beobachtungen  des Traumbewusstseins  lassen sich einige
     Beispiele dafür anführen.
        Ich näherte mich Abends dem     Schlaf  mit dem BHck auf  ein
     Blumenbeet im Freien, das von einem kleinen   Gritter aus weißen,
     kreuzweise gestellten Stäbchen eingefasst war.  Es tauchte allmählich
     die Vorstellung einer Essschüssel aus Porzellan mit durchbrochenem
     Rand auf, der jener Einfassung ähnlich war.  Hier handelte es sich
     um eine optische Sinnesassociation erster Ordnung, ohne Yermittlung
     durch eine Bedeutungsvorstellung.
        In einem Traum sah ich mich in eine Schule versetzt,  es sollte
     ein Klassenfest abgehalten und dazu  ein Comite  gebildet werden.
     Ich ärgerte mich, dass ich nicht  ins Comite kam.  Nun  setzte sich
     mein Ordinarius aus Sexta zu mir und sprach über    allerlei, über
     Käse, über einen forensischen Fall, über ein Buch.  Er schenkte mir
     Eothwein ein, ich wehrte ab, sagte »danke schön, Herr Professor!«
     und sah dabei an Stelle des Lehrers einen Universitätsprofessor, mit
     dem ich öfter über die Alkoholfrage debattirt hatte, vor mir sitzen;
     er sagte:  es  ist ja nur Wasser.  Dieser Uebergang von der Figur
     des Lehrers auf die des Professors beruhte ausschUeßlich auf einer
     gewissen äußeren Aehnlichkeit; beide trugen braune Vollbarte und
     hatten ein lebhaft geröthetes Gesicht, ohne dass sonst eine Beziehung
     zwischen  beiden  Persönlichkeiten  bestand.  Demnach  vollzog  sich
     hier auf Grund dieser ganz äußeren, rein sinnlich-optischen Beziehung
     der Uebergang von der Vorstellungssphäre der Schulerlebnisse zu dem
     Grespräch, das die Alkoholfrage berührte.
        Die zuletzt aufgeführten Beispiele können die Schwierigkeiten in
     der Analyse der Traumvorstellungen mehr andeuten als aufhellen.
         Aus der Exegese von Träumen ähnlich dem auf Seite 461 ge-

     schilderten,  die sich durch eine Reihe mehrfach  auftretender  ver-
     wandter Vorstellungen und Affecte auszeichnen, ergibt sich, dass bei
     ihnen in Anbetracht  des  jene Wiederkehr  ähnlicher Vorstellungen
     bedingenden Einflusses bleibender Reize nicht  die Rede  sein kann
     von einer »Perseverationstendenz  der Vorstellungen« im Sinne von
     Müller und Pilzecker i), woran man vielleicht denken könnte, wenn
         1) Experimentelle Beitrage zur Lehre vom Gedachtniss.  Zeitschr.  f. Psychol.
      und Physiol. der Sinnesorgane.  Ergänzungsband I.  Leipzig 1900 (S. 68 ff.).
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