Page 502 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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490                       Wilhelm Wirth.

      Elemente  eines  einzelnen,  möglichst  einfachen Vorstellungsobjectes
       verschieden, das mit allen in Betracht kommenden Theilen nnd Eigen-
       schaften gleichzeitig und vollständig von uns klar übersehen oder
      gleichmäßig voll beachtet wird. An einen solchen Bewusstseins-
      inhalt kann sich jederzeit nach Belieben die besondere Leistung der
      Erkenntniss der Zugehörigkeit des Inhaltes zum unmittelbar erlebten
      subjectiven Gesammtbestande mit Sicherheit anschließen, während ab-
      gesehen von diesen speciellen Bedingungen, bei der nämlichen That-
      sächlichkeit des Erlebens entsprechend geringere Grade der Sicher-
      heit vorhanden  sind.  Diese besondere Stellung  eines  Inhaltes  ist
       also nur ein günstigster Fall, der innerhalb des ganzen Bewusstseins-
      umfanges jeweils nur einer beschränkten Gruppe von Vorstellungs-
       elementen vorbehalten  ist.  Insofern  die unmittelbare psychologische
      Erkenntniss anderer Inhalte jener logischen VoUwerthigkeit entbehrt,
      kann die einfache Selbstbeobachtung somit höchstens die allgemeine
       Thatsache mit Sicherheit feststellen,  dass sich der Umkreis von In-
      halten mit jener besonderen Charakterisirung,  die  als Klarheit und
       Deutlichkeit bezeichnet zu werden  pflegt, aus einer Region der un-
       klaren und undeutlichen Inhalte heraushebt.  Die voll bewusste, klare
       und deutliche Gruppe bezeichnet Wundt bekanntlich als im  * Blick-
       punkt des Bewusstseins« befindlich oder als Gegenstand der Apper-
       ceptioni), der von einem größeren »Blickfeld« voll unklarer und un-
       deutlicher Inhalte oder der Region der bloßen »Perception< umgeben
       ist.  Damit  ist aber auch  die Leistungsfähigkeit der unmittelbaren
       "Wiedergabe aus der Reflexion  abgegrenzt.  In  jene im  unmittel-
       baren Erleben unklare Region wird  die Reflexion auch nicht nach-
       träglich diejenige Klarheit und Deutlichkeit hineinbringen  können,
       welche zur vergleichbaren quantitativen Bestimmung ihres Umfanges
       durch die unmittelbare Wiedergabe nothwendig  ist.
          Damit ist keineswegs die psychologische Reflexion als solche der un-
       klaren Region gegenüber für unzuständig erklärt, als ob es schon an
       sich eine Undenkbarkeit bedeute, dass man sich das ehemals unklar
       und  ohne Aufmerksamkeit nebenbei Erlebte nachträglich   »klar zu
       machen«  versuchte.  Allerdings  müssen  sich  die Gegenstände  der
       wissenschaftlichen Reflexion im Verlauf derselben im Blickpunkte des


          1) Wundt, Grundriss der Psychologie, 4. Aufl. S. 250 ff.
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