Page 504 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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492 Wilhelm Wirth.
Je weiter eine Vorstellung im unmittelbaren Erleben vom
Blickpunkte des Bewusstseins entfernt war, um so weniger
sind wir nachher im stände, sie in dieser eindeutigen Qua-
lität des Erlebens im Gledächtniss festzuhalten. Die Treue
der E-eproduction geht dem Bewusstseinsgrade gewissermaßen direct
proportional, wie schon seit den ältesten Zeiten in der Abhängigkeit
des Gedächtnisses von der Aufmerksamkeit anerkannt worden war.
Dies entspricht ja auch vollkommen der Bedeutung, welche der ein-
zelne Klarheitsgrad innerhalb des jeweiligen Gesammtbewusstseins
beim unmittelbaren Erleben besitzt. Der Bewusstseinsgrad ist ge-
wissermaßen ein directer Maßstab für die Intensität des psychischen
Processes an einer bestimmten Stelle des seelischen Lebens, und je
energischer ein psychischer Process sich vollzieht, um so nachdrück-
licher wird auch die entsprechende Disposition eingeübt. Die Ein-
übung und die mit ihr ermöglichte Analyse hat also zwar, wegen
der Bewusstheit überhaupt, auch noch innerhalb der unklaren Region
einen gewissen Spielraum, wenn sie wenigstens die geringen Spuren
dieser weniger beachteten Elemente möglichst bald ausnützt und vor
dem völligen Versinken bewahrt, das ihnen im alltäglichen Leben zu
Theil wird, wo auch die Erinnerung in Ermangelung anderer Inter-
essen in der Hauptsache in den ursprünglich klareren Regionen auf-
zugehen pflegt. Es ist aber doch niemals möglich, den principiellen
Defect aufzuheben, wonach von dem ursprünglichen Erlebniss von
vornherein nur ein entsprechend geringer Procentsatz in die Erinne-
rungsvorstellung übergeht, mag sich dieselbe auch noch so unmittel-
bar an das Erlebniss selbst anschließen.
Anmerkung. Diese Abhängigkeit des Gedächtnisses von den unmittelbar
erlebten Bewusstseinsgraden besteht offenbar auch da, wo infolge krankhafter
Anlage eine eigenartige Dissociation des Bewusstseins in dem Sinne besteht, dass
mehrere disparate Elemente und Zusammenhänge neben einander eine relativ
gleichmäßige Beachtung erlangen können, im Gegensatz zu der schärferen Aus-
geprägtheit des Gegensatzes der apperceptiven und perceptiven Regionen in der
normalen Concentration. Wenn also ein Gedächtniss für Nebensächlichkeiten
manchmal als Begleiterscheinung derartiger Zustände auftritt, so beruht dies
natürlich nicht auf einer relativen Begünstigung der Merkfähigkeit für weniger
beachtete Vorstellungen, sondern eben auf jener gleichmäßigeren Vertheilung der
Klarheit im Erleben selbst.
2) Die speciellere Gliederung des Bewusstseins. — Ge-
nauere Formulirung des Umfangsproblems. Wenn aber nun