Page 509 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.
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     verschwindet, wo ein ausgedehntes Ganze in seiner Gesammtwirkung
     ohne besondere Concentration seinen eigentlichen "Werth besitzt, wie
     z. B. bei vielen auf die allgemeine Stimmung berechneten Kunstwerken.
        Bei der eigenartigen Abhängigkeit der Gemüthsbewegungen von
     den Vorstellungen wäre femer für den Fall einer thatsächlichen Con-
     currenz natürUch niemals an eine völlige Verdrängung der Gefühle
     dui'ch die Vorstellungen zu denken, da eben jeder Gesammtbestand
    die eigenartige Constitution aus subjectiver und objectiver Seite auf-
    weist.  Femer wäre auch innerhalb der Gemütsbewegungen wegen
     der fortwährenden Entstehung von activen Regungen aus den mehr
    passiven Werthgefühlen im engeren Sinne   eine völHge Verdrängung
     des einen durch das andere ausgeschlossen, selbst wenn außerdem noch
     ein Concurrenzverhältniss zwischen diesen beiderseitigen Bewusstseins-
    inhalten vorhanden wäre.  Doch kann man wohl kaum aus der beson-
    deren Eigenart der sogenannten subjectivenBewusstseinsinhalte, der Ge-
    müthsbewegungen, sozusagen a priori auf ihre principielle Indifferenz
    gegenüber der Concurrenz um einen Antheil vom Bewusstseinsumfange
    schließen.  Bei  diesen Erlebnissen, die durchweg von den Vorstel-
    lungen und   ihren  gegenseitigen Verhältnissen abhängig  sind, und
    eine Art ßeaction   des  Subjects  auf  die  Vorstellungen  bedeuten,
    könnte es ja allerdings fraglich erscheinen, ob  sie noch einmal als
    besondere concurrirende Factoren bei der Ausfüllung des Bewusst-
    seins in Anrechnung gebracht werden   dürfen.  Und doch steht die
    jedenfalls  unbestreitbare Abhängigkeit  der Gefühle von  einer  be-
    stimmten Vorstellungscombination, wonach der nämlichen Configura-
    tion der Vorstellungen ungefähr die nämlichen Gefühle entsprechen,
    an und für sich mit der ConcurrenzmögHchkeit in gar keinem Wider-
    spruche.  Bei der Ableitung dieser Abhängigkeit wird ja noch an gar
    keine Variation der für die Ausnützung des Umfanges in Frage kom-
    menden Bedingungen gedacht. Man kann nicht a priori sagen, dass
    das Gefühl bei der nämlichen Vorstellungscombination mit derselben
    Klarheitsvertheilung u.  s.  gl. U. das nämliche wäre, wenn der mög-
    liche Gesanmitumfang für Bewusstseinsinhalte überhaupt momentan
    ein anderer wäre;  es bliebe stets die Frage, ob in den thatsächhch*
    gefundenen Gefühls- und Vorstellungserlebnissen nicht immer schon
    die gegenseitige Concurrenz zwischen objectiver und subjectiver Seite
    sich sozusagen ausgewirkt hat,  so wie auch  bei den innigsten und
       Wundt, PhiloB. Studien.  XX.                      32
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