Page 508 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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496                      Wilhelm Wirth.

       Abhängigkeit, sondern vor allem darum, ob das einheitliche Gesammt-
       gefühl bei der Ausfüllung   des  Bewusstseinsumfanges  jeweils  selb-
       ständig mitwirkt, wie die getrennten Einzelvorstellungen.  Der Begriff
        des Bewusstseinsumfanges besitzt nun seine thatsächliche Bedeutung
        nicht als Ausdruck der jeweiligen Endlichkeit überhaupt, sondern als
        eine Art von Constante,  die im Wechsel der psychischen Processe
       ihre Geltung  behält.  Nur deshalb bedeutet ja diese Gesetzmäßig-
       keit, welche eben als »Enge« des Bewusstseins bezeichnet zu werden
       pflegt,  eine Concurrenz der einzelnen  Inhalte in dem Sinne,  dass
        die einen aus dem Bewusstsein, bezw. aus seinem »Blickpunkt« zu-
       rücktreten müssen, wenn die anderen eine besondere Geltung erlangen
       sollen.  Wenn also die Gefühle ohne jede BetheiHgung an der Con-
       currenz innerhalb des Bewusstseins neben den Vorstellungen ständen,
        so könnte man immerhin für unser Hauptproblem von jeder Berück-
       sichtigung  der  Gefühle  in dieser Ueberlegung absehen.  Aber  dies
       ist eben gerade noch die Frage, ob und in wie weit die Gefühle in
       diese Concurrenz als selbständige Factoren mit eintreten, so dass sie
       einerseits  die  Bewusstseinsgrade  aller  gleichzeitigen  Vorstellungen
       ebenso herabsetzen, wie die gleichzeitige Beachtung eines besonderen
       Vorstellungsinhaltes  neben  den  übrigen, und  anderseits auch  die
       gleichzeitigen Regungen der Gefühlsseite des Bewusstseins selbst be-
        einträchtigen.
           Zunächst dürfte  freilich nicht etwa  die Bedeutung, welche das
       Werthungs- und Thätigkeitsbewusstsein für den Vorstellungsverlauf
       und  die Aufmerksamkeitsvertheilung besitzt,  als  eine Beeinflussung
       im Sinne jener Concurrenz aufgefasst werden, welche zwischen den
       einzelnen Inhalten rein um ihres Bewusstseinsantheiles willen entsteht.
       Das Interesse, welches  als  subjectiver Factor im prägnanten Sinne,
       abgesehen von den    Intensitätsverhältnissen und  den  Erfahrungs-
       associationen zwischen den Inhalten selbst, die »uninteressanten« Vor-
       stellungen zurücktreten  lässt, wirkt in dieser Weise nur wegen der
       Concurrenz der bevorzugten Vorstellungen, deren     erstrebte Klar-
       heit bei dem thatsächlichen Umfange eben einmal nicht anders zu
       erreichen  ist.  Auch  die Festhaltung  einer ganz bestimmten Con-
       centration  der Aufmerksamkeit unter  relativ  scharfer Abgrenzung
       vom »Hintergründe« beruht jederzeit nur auf dem besonderen Werthe
       der  durch  diese  Gliederung  erlangten  Vorstellungsklarheit.  Sie
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