Page 511 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
P. 511

Zur Theorie des Bewusstseinsuinfanges und seiner Messung.
                                                                  499
    Überhaupt die Fähigkeit verleiht, am allgemeinen Umfang zu parti-
    cipiren und anderes von  einer entsprechenden Stellung abzuhalten.
    Sonst könnten ja die Gefühle überhaupt nicht als Bewusstseinsinhalte
    existiren, da  sie doch gewiss nicht ihrerseits nochmals mit gleichen

    Gemüthsbewegungen in einem regressus ad infinitum verbunden sein
    können.  Sie sind entweder als Qualitäten unserer mehr passiv erleb-
    ten Subjectivität bewusst, wie  z. B. die Gefühle der Lust und Unlust,
    oder unmittelbar  als  »unsere eigene« Thätigkeit, wie eben bei der
    activen Apperception  und  bei dem  speciellen  Falle  der  äußeren
    Willenshandlung.  Sie besitzen also ohne weitere Voraussetzung ihre
    Stellung im  Bewusstsein.  Ohne  dass  der allgemeinste  inhaltliche
    Gegensatz, der zwischen Vorstellungen und Gemüthsbewegungen prin-
    cipiell besteht, verloren ginge, kann man sogar eine gewisse Analogie
    der Daseinsweise der Gemüthsbewegungen einerseits und der ohne
    besondere Beachtung trotzdem bewussten Vorstellungsinhalte ander-
    seits beliebig weit durchführen.  Unter Umständen ähnelt ihre Stel-
    lung den ohne Beachtung unklaren Vorstellungen des Bewusstseins-
                   wie            weniger
    hintergrundes ,     bei  allen         intensiven  vorübergehenden
    Gefühlen,  die dann auch in der Reflexion leicht übersehen werden
    und schwer analysirbar sind.  Die intensiven Gefühle hingegen mit
    ihren wichtigsten Hauptrichtungen, wie Lust und Unlust, entsprechen
    den auch ohne active Aufmerksamkeit sich zu höherer Klarheit her-
    vordrängenden Vorstellungen, wie denn auch in der Reflexion auf
    das Gesammtbewusstsein  die subjective Seite in solchen Fällen prä-
    valirt.  Dem höheren  » Bewusstseinsgrade «  der Gefühle  entspricht
    also auch eine entsprechende Wirksamkeit der Gedächtnissdispositionen,
    Soweit aber innerhalb der sogenannten Stimmungen thatsächlich auch
    VorsteUungselemente, wie Organempfindungen u.  s. w., gegeben sind,
    ist  die Concun-enz natürlich  vollständig auf diejenige der Vorstel-
    lungen unter sich zurückgeführt.
       Scheint nun hiemach auch eine principielle Ausschaltung der G^
    fühle von der ganzen Fragestellung des Bewusstseinsumfanges und
    der Concurrenz der Inhalte für einen umfassenderen Lösungsversuch
    nicht gerechtfertigt,  so ist allerdings eine Einbeziehung der Gefühle
    in die exactere Behandlung aus practischen Gründen undurchführbar,
    weil eine experimentelle Auslösung von Gemüthsbewegungen in ver-
    gleichbaren Quantitäten schwer möglich  ist, wie es zur Untersuchung
                                                       32*
   506   507   508   509   510   511   512   513   514   515   516