Page 511 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Zur Theorie des Bewusstseinsuinfanges und seiner Messung.
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Überhaupt die Fähigkeit verleiht, am allgemeinen Umfang zu parti-
cipiren und anderes von einer entsprechenden Stellung abzuhalten.
Sonst könnten ja die Gefühle überhaupt nicht als Bewusstseinsinhalte
existiren, da sie doch gewiss nicht ihrerseits nochmals mit gleichen
Gemüthsbewegungen in einem regressus ad infinitum verbunden sein
können. Sie sind entweder als Qualitäten unserer mehr passiv erleb-
ten Subjectivität bewusst, wie z. B. die Gefühle der Lust und Unlust,
oder unmittelbar als »unsere eigene« Thätigkeit, wie eben bei der
activen Apperception und bei dem speciellen Falle der äußeren
Willenshandlung. Sie besitzen also ohne weitere Voraussetzung ihre
Stellung im Bewusstsein. Ohne dass der allgemeinste inhaltliche
Gegensatz, der zwischen Vorstellungen und Gemüthsbewegungen prin-
cipiell besteht, verloren ginge, kann man sogar eine gewisse Analogie
der Daseinsweise der Gemüthsbewegungen einerseits und der ohne
besondere Beachtung trotzdem bewussten Vorstellungsinhalte ander-
seits beliebig weit durchführen. Unter Umständen ähnelt ihre Stel-
lung den ohne Beachtung unklaren Vorstellungen des Bewusstseins-
wie weniger
hintergrundes , bei allen intensiven vorübergehenden
Gefühlen, die dann auch in der Reflexion leicht übersehen werden
und schwer analysirbar sind. Die intensiven Gefühle hingegen mit
ihren wichtigsten Hauptrichtungen, wie Lust und Unlust, entsprechen
den auch ohne active Aufmerksamkeit sich zu höherer Klarheit her-
vordrängenden Vorstellungen, wie denn auch in der Reflexion auf
das Gesammtbewusstsein die subjective Seite in solchen Fällen prä-
valirt. Dem höheren » Bewusstseinsgrade « der Gefühle entspricht
also auch eine entsprechende Wirksamkeit der Gedächtnissdispositionen,
Soweit aber innerhalb der sogenannten Stimmungen thatsächlich auch
VorsteUungselemente, wie Organempfindungen u. s. w., gegeben sind,
ist die Concun-enz natürlich vollständig auf diejenige der Vorstel-
lungen unter sich zurückgeführt.
Scheint nun hiemach auch eine principielle Ausschaltung der G^
fühle von der ganzen Fragestellung des Bewusstseinsumfanges und
der Concurrenz der Inhalte für einen umfassenderen Lösungsversuch
nicht gerechtfertigt, so ist allerdings eine Einbeziehung der Gefühle
in die exactere Behandlung aus practischen Gründen undurchführbar,
weil eine experimentelle Auslösung von Gemüthsbewegungen in ver-
gleichbaren Quantitäten schwer möglich ist, wie es zur Untersuchung
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