Page 515 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.
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     ZU lassen,  so dass  die Erinnerung außer dem Inhalt selbst keiner
     weiteren Zeitmarkirung bedarf.  Dabei sind fast alle bisherigen Ver-
     suche, sowohl nach dieser directen als nach indirecten Methoden, auf
     ein  einziges  Sinnesgebiet  beschränkt,  associative Beimischung  aus
     anderen  Gebieten  selbstverständlich  inbegriffen.  Hiermit  ist  also
     schon von vorne herein ausgeschlossen,  dass man dem ganzen Be-
     wusstseinsumfange  jemals nahekomme,  insofern  sich  das normale
     Bewusstsein auch nicht für einen einzigen Augenblick nur in einem
     Sinnesgebiet sozusagen anlegen lässt.  Versuche nach dieser Richtung
     bei suggestiver Concentration  u. dergl. wären  ja deshalb immerhin
     noch denkbar. Doch ließe sich auch unter normalen Bedingungen ein
     viel größerer Umfang des gleichzeitigen Wahmehmungsbestandes ex-
     perimentell beherrschen, wozu man wenigstens bei den Versuchen über
     die Leistungsfähigkeit bei gleichzeitiger Störung (vergl. Cap. 5) bereits
     den Anfang gemacht hat.    Auch die Concurrenz der Vorstellungs-
     klarheit und der äußeren Willkürhandlung  ist hierbei schon in Be-
     tracht gezogen worden;  doch  ist damit  bereits  eine noch größere
     Complication gegeben, für deren Beurtheilung vorläufig erst einmal
     verschiedene Sinnesgebiete  auf  die gegenseitige Beeinflussung ihres
     momentanen Klarheitsumfanges untersucht sein müssten. Eine wesent-
     liche Bereicherung der allgemeinsten systematischen Gesichtspunkte
     gegenüber der  sorgfältigen Untersuchung  ein und  des  nämlichen
     Sinnesgebietes ist indessen von solchen Verallgemeinerungen kaum zu
     erwarten,  da ja das Wesen   der Vorstellungsconcurrenz überhaupt
     schließlich das nämliche bleiben wird, und außerdem bei der genügend
     erreichbaren Constanz des gleichzeitigen Wahmehmungsbestandes der
     übrigen Sinnesgebiete schon bei einem Gebiet eine gewisse Reinheit
     der Resultate  zu erwarten  steht.  Dennoch wäre wegen   der Ver-
     schiedenheit  der  gegenseitigen  Beziehungen  simultaner  Elemente
     innerhalb der verschiedenen Sinnesgebiete wenigstens jene Ausdeh-
     nung  der Untersuchung   mit  gleichartigen Elementen  auf andere
     Gebiete werthvoll.  Zunächst  ist nach dieser zuerst zu besprechen-
     den  directen Methode     der Bestand an   simultanen optischen
     Vorstellungen häufiger analysirt worden, nachdem Ca t teil im 5. Ab-
     schnitte  seiner mehrfach bedeutungsvollen Arbeit >Ueber die Träg-
     heit  der Netzhaut und  des Sehcentrums «i) zum  ersten Male  die
         1) Wundt, Phüos. Studien HE, S. 94 bezw. 121.
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