Page 518 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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506                       Wilhelm Wirth.
       Blickpunkt des Auges vollständig verlassen werden, sobald es sich um
       die  quantitativen  Verhältnisse  der Aufmerksamkeitsvertheilung im
       einzelnen handelt.  Zunächst vollziehen sich Augenbewegungen jeden-
      falls  erst im Anschluss an Verschiebungen der centralen Klarheits-
      verhältnisse,  also später als diese,  sofern  sie überhaupt durch den
       optischen Wahrnehmungsbestand angeregt   sind.  Auch beim Lesen
       repräsentiren sie nur die bereits begonnene oder vollendete Verlegung
       des inneren »Schwerpunktes«, wie man das Bild wenden kann, um
       mehr die mechanisch-motorische Bedeutung der maximalen Klarheit
       hervortreten zu lassen.  Außerdem folgen aber die bekannten  fort-
       schreitenden Lesebewegungen u.  a. nur einer bedeutenderen Ver-
       schiebung der Bewusstseinsgrade, und vor  allem  einer relativ ein-
       seitigen und deshalb mit einer gewissen inneren Wucht erfolgenden
       Bewegung   dieser Höhenwelle.  Wenn man    die Parallele  zwischen
       innerer und äußerer Bewegung durchaus festhalten  will,  so könnte
       man höchstens etwa sagen, dass die minimalsten unwillkürlichen Blick-
       schwankungen des Auges,   so klein,  dass  sie keiner der bisherigen
       objectiven Messungsmethoden zugänglich wären, ihrem Rhythmus nach
       von den gröbsten unter diesen feinen Verschiebungen der maximalen
       Klarheit  herrühren  könnten,  welche  fortwährend  eine  »constant«
       beachtete Vorstellung umspielen und   die Beziehungen  zur  gleich-
       zeitig bewussten Nachbarschaft klarer vergegenwärtigen und im G-e-
       dächtniss besser festhalten lassen.  Es kommt auch nicht darauf an, ob
       man solchen minimalen Veränderungen noch den Namen der Auf-
       merksamkeitswanderung zukommen lassen will, jedenfalls reichen sie
       hin, um die Concurrenz,  die  sich die Vorstellungen thatsächlich in
       einem kleinsten Zeittheil machen und deren quantitative Wirkung wir
       gerade feststellen wollen, theilweise zu compensiren.  Ferner kommt
       es aber nicht einmal darauf an  , dass eine eigentliche Verlegung des
       inneren Blickpunktes, bezw.  aller relativen Klarheitsmaxima von der
       ursprünglichen  Stelle weg  stattfindet,  es genügt zur Trübung des
       Bildes, wenn sich nur die  absoluten Maße der Bewusstseinsgrade
       unter Beibehaltung der relativen Höhen und Tiefen verändern und
       das Glänze  irgendwie  weiter  verarbeitet wird.  Dieser Prozess der
       fortschreitenden subjectiven Verarbeitung beginnt  als höchster Pro-
       cess später als  alle  die peripheren Vorgänge  , welche das Auftreten
       des Vorstellungsobjectes bedingen.  Nach einmal begonnener Thätig-
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