Page 514 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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502                      Wilhelm Wirth.

       würde   aber  als  eine gegebene Zeitstrecke  für unsere Zusammen-
       fassung doch nur dann zu übernehmen sein, wenn man gar keinen
       Einfiuss auf den Verlauf der Concentrationsschwankungen ausüben
       könnte.  Thatsächlich besitzen dieselben aber doch in ihren verschie-
       denen Phasen eine große Anpassungsfähigkeit an den Verlauf beliebig
       dargebotener Inhalte, wenn nur eben durch geeignete vorbereitende
       Eindrücke eine bestimmte Einstellung des inneren Rhythmus ermög-
       licht wird.  Dadurch  lassen  sich willkürlich und exact  abgestufte
       Inhaltszeiten  mit  vergleichbaren  Bewusstseinsstadien  zur Deckung
       bringen, und  es lassen sich somit  die kleinsten überhaupt noch ab-
       grenzbaren Momente des Bewusstseins   als Zeiteinheiten verwerthen.



                                  2. Kapitel.

       Die Bestimmung    des Umfanges    der  »maximalen   Klarheit«,  des
       sog. Aufmerksamkeits- Umfanges, dnrch unmittelbare Wiedergabe
       eines tacMstoskopisch dargebotenen Complexes.    (Bestimmung des
                      Umfanges der klaren Neuauffassung.)

           1) Einschränkung der Fragestellung für das Experiment
       auf momentane optische Complexe.           Nach  dieser  vorläufigen
       Charakterisirung des Gegenstandes, welche eine allgemeinere psycho-
       logische Reflexion an  die Hand  gibt, wird  sich nunmehr auch die
       speciellere Frage beantworten lassen, wieviel von dem gesammten
       Umfange überhaupt die unmittelbare Wiedergabe des Ge-
       sammtbestandes auf Grund der einfachen Erinnerung zu Tage
       fördern könnte, also die directe subjective Methode, von der bisher
       allein die Rede gewesen ist, und zwar bei Anwendung exacter ex-
       perimenteller Hülfsmittel für Erzeugung des Vorstellungs-
       materials und seiner Dauer.      Die Fragestellung bezieht sich aus-
       schließlich auf den Bestand des Bewusstseins, bezw. bestimmter Klar-
       heitsgrade, der in einem Momente gleichzeitig erlebt wird.  Dabei ist es
       natürlich an und für sich gleichgültig, welche Processe und Zeiten zu
       dieser simultanen Configuration geführt haben. Es lag aber am nächsten,
       vorläufig einen Wahrnehmungscomplex durch kurzdauernde Reizung
       nur für den zu analysirenden Moment neu entstehen zu
       lassen und gegenüber einer andersartigen und wenig auffälligen Aus-
       füllung des Bewusstseins vor und nachher zeitlich scharf heraustreten
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