Page 510 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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498                       Wilhelm Wirth.

        leistungsfähigsten Simultanassociationen zwischen Vorstellungen, also
        ebenfalls bei einer gegenseitigen Abhängigkeit, wenn auch in ganz
        anderem Sinne, die thatsächliche Beachtung und Klarheit der Einzel-
        elemente des Granzen gerade wegen der besonders idealen Zusammen-
        gehörigkeit und  Gleichzeitigkeit  eine  geringere  ist,  als wenn  ein
        einzelnes Element ohne Herbeiziehung anderer Vorstellungen  allein
        für sich beachtet wäre.
           Außerdem könnte auch die besondere Art, wie uns    die Inhalte
        der  subjectiven  Seite im unmittelbaren Erleben gegeben sind,  ihre
        völlige Ausschaltung  aus  der  Concurrenzfrage  nahe  legen.  Die
        Gefühle brauchen bekanntlich beim Erleben nicht noch besonders
        beachtet oder appercipirt zu werden.  Sie ergeben sich vielmehr gerade
        durch die Aufmerksamkeit auf Vorstellungen, deren Erhaltung für
        sie wesentlich ist.  Insofern nun die Beachtung eines Inhaltes so recht
        eigentlich derjenige  Vorgang  ist,  durch  den  das  andere  zurück-
        gedrängt wird, so scheinen die Gefühle wiederum deshalb dem Streite
        um den Bewusstseinsumfang vollständig fern zu stehen,  weil  sie zu
        ihrem vollkommenen Dasein im unmittelbaren Erleben,    wie  es gar
        nicht »vollständiger« gedacht werden könnte, keine besondere Apper-
        ception nöthig haben.  Auch um deswillen wird man aber den Ge-
        fühlen in unserer Frage keine principiell andere Stellung einzuräumen
        brauchen, welche  sie  als bewusste Inhalte überhaupt  der hier be-
        trachteten Wechselwirkung überhöbe.   Für   die Vorstellungsobjecte
        ist  allerdings  unter Umständen  eine Regung  der  subjectiven Be-
        wusstseinsseite vorhanden, die als active Apperception bezeichnet wird,
        wenn sie gleichzeitig die vollkommenste Geltung im Bewusstsein be-
        sitzen sollen,  die sie überhaupt erreichen können und die der maxi-
        malen Klarheit entspricht.  Anderseits ist wiederum ein eigenartiges
        Gefühl der Passivität vorhanden, wenn Vorstellungsobjecte ohne diese
        active Apperception, z. B. auf Grund der eigenen Intensität u. s. w., eine
        besonders hohe Klarheit erlangen. Und wenn keines von beiden vor-
        handen ist, besitzen die Vorstellungen  die minderwerthige  Stellung
        der Unklarheit,  die eben  als Wirkung der übrigen beachteten oder
       *'  aufdringlichen Vorstellungen bei der gleichzeitigen Enge des Bewusst-
        seins anzusehen  ist.  Diese gesetzmäßigen Verbindungen der Vorstel-
        lungsklarheit mit besonderen Gemüthsbewegungen können aber natür-
        lich nicht als dasjenige angesehen werden, was Bewusstseinsinhalten
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