Page 507 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.
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        3) Stellung d^röemüthsbewegungen in dem allgemeinen
     psychisclien Wettstreit um das Bewusstsein. — Ihre Aus-
     schaltung von der engeren Fragestellung.          In den  letzten
     Ausführungen  ist immer nur von der Ausfüllung des Bewusstseins
     durch Vorstellungselemente die Rede gewesen.     Dieser Ausdruck
     war dabei keineswegs ohne den speciellen Sinn gebraucht, in dem er
     die sogenannten »objectiven« Inhalte des Bewusstseins,       die
     Empfindungen und reproductiven Vorstellungen, im Gegensatz zu
     der »subjectiven« Seite des Bewusstseins, den Gemüthsbewegun-
     gen, bezeichnet.  Die Frage nach dem Umfange des Bewusstseins
     scheint sich aber noch mehr zu compHciren, wenn man berücksichtigt,
     dass für eine Art von Aufzählung des gesammten Inhaltes in jedem
     Augenblicke die Gefühls- und Vorstellungsseite gleichmäßig zu be-
     rücksichtigen wären.
        Ohne dass bei der Beschränktheit des Raumes auf das Wesen
     der Gefühlsanalyse näher eingegangen werden könnte,  soll nur her-
     vorgehoben werden,  dass  die  eigenartige Stellung der Gefühle im
     Gegensatz zur Vorstellung beim unmittelbaren Erleben  eine nach-
     trägliche apperceptive Analyse derselben und damit also eine Ein-
     beziehung in eine möglichst vollständige Umfangsbestimmung an und
     für sich in keiner Weise ausschließt.  Bei der unvergleichbaren Ein-
     heitlichkeit, in welcher die Gefühlsseite des Bewusstseins jeweüs ge-
     geben ist, entspricht dem Nebeneinander relativ  isolirt aufgefasster
     Vorstellungselemente,  z. B. dem Wettstreit von Motiven,  ein eigen-
     artiges Ineinander von Eigenthümhchkeiten, welche durch eine reflec-
     tive Abstraction mehr oder weniger deuthcher Gefühlsmomente fest-
     stellbar  sind.  Man könnte  also für solche Fälle in analoger Weise
     fragen, wieviel relativ unterscheidbare Gefühlsmomente in der einheit-
     lichen Gemüthsbewegung   in  entsprechenden Graden gegeben   sein
     können, so dass  sie dann auch mit einer gewissen Deutlichkeit und
     Sicherheit aus dem empirisch gegebenen Bewusstseinsganzen heraus-
     gehoben werden können.  Bei einheitlicheren Gefühlswirkungen würde
     sich  freilich die Frage nach dem Umfangswerthe des Gefühles zu-
     gleich mit derjenigen nach dem  »Bewusstseinsgi-ade«  auf  diejenige
     nach der Intensität reduciren.  Bei dieser ganzen Frage handelt es
     sich aber nicht etwa um die bloße Wiederspiegelung der Concurrenz
     in dem   objectiven  Vorstellungsbestande gemäß  der  gegenseitigen
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