Page 248 - Für denkende Menschen
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Die Zeilen dieses Buches, oder die grenzenlose Landschaft, entstehen in
diesem winzigen Raum. Die Schädeldecke lässt kein Licht ins Gehirn. Das
heißt, das innere Teil des Gehirns ist völlig dunkel. Folglich ist es unmöglich,
dass das Gehirn sich mit dem Licht in irgendeinem Zusammenhang befindet.
Ein Beispiel: Nehmen wir an, uns gegenüber steht eine brennende Kerze,
die wir eingehend betrachten. Während dieser Zeit hat unser Gehirn keinen
direkten Kontakt mit dem ursprünglichen Licht der Kerze. Selbst wenn wir das
Licht der Kerze sehen, ist das Innere unseres Gehirns vollständig dunkel.
Innerhalb unseres dunklen Gehirns sehen wir uns eine helle, farbige Welt an.
R. L. Gregory stellt die wundersamen Aspekte des Sehvorgangs, den wir als
ganz normal empfinden, so dar:
Wir haben uns dermaßen an das Sehen gewöhnt, dass große Phantasie von
Nöten ist, um zu bemerken, dass es einige Fragen gibt, die beantwortet werden
müssen. Ich bitte Sie hier um Aufmerksamkeit. Die Augen liefern uns kleine, auf
dem Kopf stehende Bilder, und wir sehen die Gegenstände als feste Objekte in
unserer Umgebung an. Als Folge der optischen Reize auf der Retina nehmen wir
die Welt der Objekte wahr, und das ist eigentlich ein Wunder. 23
Der gleiche Umstand trifft auch auf alle anderen Wahrnehmungen zu. Das
Geräusch, der Tastreiz, der Geschmack und der Geruch erreichen das Gehirn
als elektrische Signale und werden in den betreffenden Zentren im Gehirn
wahrgenommen.
Der Hörvorgang funktioniert so: Das äußere Ohr sammelt die Schallwellen
in der Umgebung mit Hilfe der Ohrmuschel und übermittelt diese ins mittlere
Ohr. Das mittlere Ohr verstärkt die Schallschwingungen und leitet sie in das
innere Ohr weiter. Das innere Ohr wandelt diese Schwingungen in elektrische
Signale um und übermittelt diese zum Gehirn. Analog zum Sehen findet auch
das eigentliche Hören im Hörzentrum des Gehirns statt. Genauso wie das
Gehirn vom Licht isoliert ist, ist es auch vom Schall isoliert. Folglich ist es egal
ob es draußen laut ist; das Innere des Gehirns ist vollständig leise.
Dennoch werden die Töne im Gehirn deutlich wahrgenommen. In unserem
schallisolierten Gehirn hören wir der Sinfonie eines Orchesters zu, wir hören
alle Geräusche eines stark besuchten Ortes und können alles, vom Rauschen
eines Blattes bis zum Lärm eines Flugzeuges innerhalb eines weiten
Frequenzbereiches wahrnehmen. Wenn man aber in diesem Augenblick das
Schallniveau im Gehirn durch ein empfindliches Gerät messen würde, fände
man, dass dort völlige Stille herrscht.
Unser Geruchssinn entsteht in ähnlicher Weise: Sich leicht verflüchtigende
Moleküle wie der Duft der Vanille oder einer Rose erreichen Rezeptoren im
Epithelium der Nase und reagieren mit ihnen. Diese Reaktion wird unserem
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