Page 597 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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welchen Kräften sie sich offen gegen diese empören, und mit welchen
                geheimen Ränken sie ihnen auf krummen Wegen nachstellen, und mit
                welchen Hilfsmitteln andererseits die Tugenden die Macht der Laster

                brechen und ihre Lockungen vereiteln und auf welche Art und Weise der
                Sieg auf der einen oder andern Seite errungen wird.
                     Aber um keine falschen Vorstellungen aufkommen zu lassen, ist hier
                etwas näher zuzusehen. Denn da nur sechs Stunden gearbeitet wird, so
                könnte man vielleicht der Meinung sein, daß daraus ein Mangel an den
                nothwendigsten Erzeugnissen entstehen müsse.
                     Aber das ist so wenig der Fall, daß besagte Zeit zur Herstellung einer

                Fülle von Dingen, die zu den Lebensbedürfnissen und
                Lebensannehmlichkeiten gehören, nicht nur genügt, sondern mehr als
                ausreichend ist, was ihr leicht einsehen werdet, wenn ihr bedenkt, ein
                wie großer Theil des Volkes bei andern Nationen müßig geht. Erstens
                fast alle Frauen, die Hälfte der ganzen Bevölkerung, oder, wo die Frauen
                thätig sind, faulenzen an ihrer Statt meistens die Männer. Wie groß ist

                ferner die müßiggehende Schaar der Priester und Mönche?! Dazu
                kommen sodann die Reichen, meist Großgrundbesitzer, gewöhnlich die
                Junker und Adeligen genannt; dazu rechne ferner die Schaaren Diener
                und den gesammten Schwarm müßiggängerischer Gefolgschaft, endlich
                die gefunden, kräftigen Bettler, die alle möglichen Krankheiten zum
                Vorwand für ihre Faulheit nehmen.
                     Sicherlich würdest du die Anzahl Derer, durch deren Tätigkeit die

                Produkte zu Stande kommen, die zum täglichen Gebrauche dienen,
                geringer finden, als du wohl wähnen dürftest. Nun überlege bei dir, wie
                Wenige von diesen selbst wieder sich mit praktisch nützlichen,
                nothwendigen Handwerken beschäftigen.
                     Wo Geld der Maßstab aller Dinge ist, da müssen viel eitle und
                überflüssige Künste betrieben werden, die nur dem Luxus und den

                Lüsten dienen. Denn wenn dieselbe Anzahl von Leuten, die heutzutage
                überhaupt arbeiten, auf die wenigen Handwerke vertheilt würde, die der
                natürlich einfachen Lebensweise nach bloß erforderlich sind, so würden
                die Preise so sehr sinken, daß die Handwerker von ihrer Arbeit ihren
                Lebensunterhalt nicht mehr zu bestreiten vermöchten. Aber wenn alle
                Jene, die jetzt in müßigen Künsten und Gewerken beschäftigt sind,
                zusammt der ganzen Schaar, die sich in Müßiggang und Nichtsthun

                langweilt, und deren Jeder von den Erzeugnissen, die durch wirklich
                Arbeitende hergestellt werden, doppelt so viel verbraucht, als ein
                nützlicher Arbeiter, alle in praktisch nützlichen Berufen untergebracht
                würden, so würdest du mit Leichtigkeit gewahr werden, wie so sehr





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