Page 599 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Aber bei den Utopiern, wo alle Verhältnisse wohl geordnet sind, und
das Staatswesen bestens konsolidirt ist, kommt es nur selten vor, daß ein
neues Haus auf einem Bauplatz aufgeführt wird, da vorhandenen
Schäden nicht nur schleunig abgeholfen, sondern auch erst drohenden
flugs begegnet wird.
So kommt es denn, daß die Gebäude mit einem Minimum von Arbeit
ungemein lange dauern, so daß die Bauhandwerker zuweilen kaum etwas
zu thun haben, außer mittlerweile Zimmerholz zu hobeln und Steine zu
behauen, damit, wenn es einen Bau aufzuführen gibt, dieser um so
rascher entstehen kann.
Nun sollst Du auch an der Kleidung sehen, wie wenig Arbeit die
Utopier brauchen. Bei der Arbeit selbst sind sie ganz primitiv in Leder
oder Felle gekleidet, die sieben Jahre aushalten. Wenn sie dann die
Arbeit verlassen und auf die Straße gehen, ziehen sie ein Oberkleid über,
welches jene gröbere Gewandung verdeckt; dieses hat dieselbe Farbe auf
der ganzen Insel, und zwar die natürliche der Wolle. Sie brauchen daher
viel weniger Tuchstoffe als anderswo und auch jenes eine Tuch kommt
ihnen billiger.
Die Herstellungsarbeit ist bei Leinen geringer, daher wird es häufiger
verwendet, aber bei Leinen wird nur auf die Weiße, bei Wollstoffen auf
die Reinlichkeit gesehen, die größere Feinheit des Gewebes wird nicht
bezahlt.
So kommt es, daß, während nirgendswo sonst vier oder fünf
Wollkleider von verschiedenen Farben einem Manne genügen und den
etwas Verwöhnteren nicht einmal zehn, dort Jedermann mit einem
auskommt und das meist noch für zwei Jahre. Es gibt ja keinen Grund,
warum er sich mehr wünschen sollte; er wäre mit ihnen weder gegen die
Kälte mehr geschützt, noch würde er durch seine Kleidung um ein Haar
schmucker aussehen.
Da sie sich nur mit nützlichen Gewerken und Künsten befassen, und
in jedem Handwerk nur wenige Arbeiter benöthigt sind, so geschieht es,
daß die Utopier zu Zeiten eine sehr große Anzahl Leute zur Verfügung
haben, welche die öffentlichen Straßen ausbessern können, wenn diese
schadhaft geworden sind. Sehr oft aber, wenn auch diese Art Arbeit nicht
von nöthen ist, wird öffentlich bekannt gemacht, daß die Zahl der
Arbeitsstunden herabgesetzt ist. Denn die Obrigkeiten plagen die Bürger
nicht mit unnützer überflüssiger Arbeit.
Die Organisation dieses Staatswesens hat vor allem diesen einen
Zweck vor Augen, alle Zeit, so weit es die Arbeiten für die Bedürfnisse
der Gesammtheit erlauben, den Bürgern zur Abstreifung der
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