Page 598 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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wenig Zeit mehr als übergenug ist, um alles das zu liefern, was entweder
der unbedingte Lebensbedarf, oder die Behaglichkeit und selbst das
Vergnügen – doch nur das wahre und natürliche – erheischt.
Und das erhellt in Utopien aus den Thatsachen selbst. Denn dort sind
in einer ganzen Stadt mit sammt ihrer nächsten Umgegend aus der
gesammten Zahl der Männer und Frauen, die dem Alter und
den Körperkräften nach zur Arbeit tauglich sind, kaum fünfhundert,
die davon befreit sind. Unter diesen dispensiren sich die Syphogranten
(die gesetzlich der Arbeit überhoben sind) nicht einmal selbst vom
Arbeiten, um die Uebrigen um so leichter durch ihr Beispiel zur Arbeit
einzuladen.
Derselben Immunität erfreuen sich diejenigen, welchen das Volk
zufolge der Empfehlung der Priester und den geheimen Abstimmungen
der Syphogranten zum Studium der Wissenschaften lebenslängliche
Befreiung gewährt. Wenn so einer die auf ihn gesetzten Hoffnungen
getäuscht hat, so wird er in die Klasse der Handwerker zurückversetzt;
und umgekehrt kommt es gar nicht so selten vor, daß ein
Handwerksmann seine ersparten Mußestunden so emsig den
Wissenschaften zuwendet, daß er ansehnliche Fortschritte macht, und,
von seinem Handwerk befreit, in die Klasse der Geleierten aufsteigt.
Aus diesem Stande der Gelehrten werden die Gesandten, die Priester,
die Traniboren, wird endlich der Fürst selbst erwählt, den sie in ihrer
alten Sprache Barzanes, in der neueren Ademus nennen.
Da die ganze übrige Bevölkerung weder unbeschäftigt, noch in
unfruchtbaren Handwerken beschäftigt ist, so ist leicht zu taxiren, in wie
wenigen Stunden so viel nützliche Arbeit in den erwähnten Beziehungen
vor sich gebracht werden kann; dazu kommt noch der erleichternde
günstige Umstand, daß sie in den meisten unentbehrlichen Gewerken
weniger Arbeitszeit verbrauchen, als andere Völker.
Denn erstens kostet die Aufführung und die Reparatur der Gebäude
anderwärts überall viele und beständige Arbeit, weil, was der Vater
gebaut hat, ein fahrlässiger Erbe nach und nach verfallen läßt, während
er es mit geringem Aufwande hätte in Stand halten können; dessen
Nachfolger muß die Wiederherstellung dann von Frischem mit
beträchtlichen Kosten besorgen lassen; nicht selten auch ist einer so
zimperlich, daß er das mit großem Aufwande erbaute Haus als zu simpel
verschmäht und es darum vernachläßigt; wenn es dann binnen Kurzem
verfällt, läßt er sich anderswo ein anderes mit nicht geringeren Kosten
erbauen.
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