Page 680 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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unter den ersten Büchern »Der Fürstenspiegel« und die »Politischen
                Betrachtungen« standen. Das Konzil von Trient bestätigte 1564 dies
                Verbot. In diesem Sinne gehört also Machiavelli zu den ersten Zerstörern

                der mittelalterlichen Staatsform.
                     Seiner weit vorausschauenden »Kriegskunst« war ein gleiches Los
                nicht beschieden. Die Aufstellung straff disziplinierter Volksheere, wie
                er sie selbst betrieben hatte, gedieh damals über die ersten Ansätze nicht
                hinaus. Er sagt zwar: »Welcher Staat das zuerst tut, wird so viel
                erreichen wie Philipp von Mazedonien, als er die Manneszucht bei
                Epaminondas gelernt. Dieser Staat wird Herr der anderen sein und ganz

                Italien beherrschen.« Aber seine Mahnungen fanden nur taube Ohren.
                Erst Frankreich und Brandenburg-Preußen traten in seine Fußstapfen,
                und zwar völlig ohne Kenntnis seiner Lehren, rein aus politischer
                Notwendigkeit. Friedrich Wilhelm I. von Preußen sah in der Gottesfurcht
                einen Kitt der Heere, genau wie Machiavelli, und wie dieser gelehrt
                hatte, war Friedrich der Große sein eigener Feldherr; aber Friedrich

                Wilhelm verschmähte alle Lehren der Schriftsteller, und sein Sohn haßte
                besonders die des Florentiners. Selbst die Französische Revolution, die
                das Volksheer erst vollkommen durchführte, nahm sich ihr Vorbild nicht
                an ihm, sondern an seinem eigenen Vorbild, der altrömischen Republik.
                     Vollends die »Politischen Betrachtungen«, in die das Thema der
                »Kriegskunst« vielfach hineinklingt, blieben eine akademische Lehre für
                junge Florentiner, denen sie höchstens die Köpfe zu einer mißglückten

                Revolution erhitzten, und für lateinisch schreibende
                Universitätsprofessoren, die daran ihre gelehrte Dialektik erprobten. Sie
                waren ja auch ihrer ganzen Anlage nach mehr ein Kompendium der
                Staatswissenschaft, als eine Lehre für einen bestimmten Fall. Denen, die
                dem Verfasser vorwarfen, er habe die Fürsten gelehrt, Tyrannen zu sein,
                entgegnete er ingrimmig, er habe auch die Völker gelehrt, wie sie die

                Tyrannen ausrotten sollten. Wie wahr dies ist, zeigt das Beispiel des
                Dezemvirs Appius (I, 40), wo Machiavelli dem Volk seine Fehler bei der
                Verteidigung der Freiheit, dem Appius die seinen beim Streben nach der
                Alleinherrschaft vorrechnet. Ebenso rät er den Fürsten, wie sie sich vor
                Verschwörungen zu hüten haben, aber er zeigt auch, wann und wie
                Verschwörungen gelingen können. Mit kalter Sachlichkeit erörtert er die
                verschiedensten politischen Lagen und Vorgänge, teils im

                geschichtlichen Rückblick, teils in ihrer allgemeinen Möglichkeit; denn
                wie er sagt: »Es ist gut, alles zu erörtern.« Wie der Arzt mit dem Messer
                und mit Giften an Leichen und kranken Körpern, arbeitet hier der
                Politiker in seinem Laboratorium mit allen politischen Mitteln, völlig





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