Page 684 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 684

das Gelingen war aber nur möglich, wenn Italien ein starker,
                monarchisch geleiteter Einheitsstaat wurde, wie es Machiavelli in dem
                begeisterten Schlußwort seines »Fürsten« verlangt. Zu diesem Zweck ist

                ihm jedes Mittel recht, erlaubt die Staatsräson seinem Herrscher jedes
                zweckmäßige Verbrechen. Er brüstet sich nicht etwa mit Immoralismus,
                wie Nietzsche oder Beyle-Stendhal, noch sucht er seine Mittel jesuitisch
                zu rechtfertigen, aber er hegt auch nicht das geringste moralische oder
                rechtliche Bedenken. Treulosigkeit, Scheinheiligkeit, ja, die Ausrottung
                ganzer Bevölkerungen rät er nicht nur im »Fürsten« an, sondern auch in
                den »Betrachtungen«; ja selbst in der harmlosen »Kriegskunst« erörtert

                er die Frage, ob man dem Feind nicht vergiftete Lebensmittel senden
                solle. Es scheint uns heute schwer begreiflich, daß ein geistig so
                hochstehender Mann, der in vielen Lebensverhältnissen ehrlich
                gehandelt und sich nie mit schmutzigem Gewinn befleckt hat, die Greuel
                eines Borgia so ganz ohne jede Regung des Abscheues darstellen, ja sein
                Benehmen anderen Machthabern als Vorbild hinstellen konnte. Daß in

                ihm nicht jedes politische Rechts- und Moralgefühl ausgestorben war,
                zeigt seine Verurteilung Philipps von Mazedonien, sein Exkurs über die
                römischen Kaiser, seine bewundernde Anerkennung deutscher
                Frömmigkeit und Rechtschaffenheit, die er so geflissentlich gegen die
                Sittenverwilderung in den drei romanischen Ländern Italien, Spanien
                und Frankreich, dieser »Verderbnis der Welt« kontrastiert. Ja, er schreibt
                der Kirche mit kühnem Freimut die Hauptschuld an dieser Verderbnis

                wie an dem politischen Elend Italiens zu, ganz im Geist Savonarolas und
                am Vorabend der deutschen Reformation. Aber sosehr er selbst die tiefe
                Verderbnis seiner Zeit geißelt, er weiß den Teufel doch nur mit
                Beelzebub auszutreiben. »Einem neuen Herrscher hilft Grausamkeit,
                Treulosigkeit und Gottlosigkeit da, wo Menschlichkeit, Treue und
                Gottesfurcht längst verschwunden sind, und aus keinem anderen Grunde

                hilft Menschlichkeit, Treue und Gottesfurcht da, wo Grausamkeit,
                Treulosigkeit und Gottlosigkeit nur kurze Zeit geherrscht haben,« heißt
                es in einem Brief an den gestürzten Gonfalonier Soderini. Manche haben
                ihm diese Unbedenklichkeit hoch angerechnet, so Bacon in den bereits
                zitierten Worten. Greift ihn umgekehrt Friedrich der Große in seinem
                »Antimachiavelli« so schonungslos an, so liegt allen Mißverständnissen
                doch ein psychologischer Kern seines Hasses zugrunde: der verächtliche

                Widerwille des Erben einer gefestigten Monarchie gegen die blutigen
                Emporkömmlinge der Renaissance, die sich nur mit Verbrechen
                durchsetzen können. »Es ist schrecklich zu denken«, sagt Ranke, »daß
                die Grundsätze, die Machiavelli für die Erwerbung und Behauptung





                                                          683
   679   680   681   682   683   684   685   686   687   688   689