Page 686 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Die Geschichte hat es bewiesen, und Machiavelli selbst mag
bisweilen gefühlt haben, daß seine Mittel dem Lande nichts helfen
würden; zu ähnlich diesem Dichterwort lauten seine eigenen Klagen über
die politischmilitärische Ohnmacht und die Sittenverwilderung Italiens.
Trotzdem konnte er dem Kreis seiner Ideen nicht entrinnen. Bezeichnend
für seine amoralische Anschauung ist, daß er schon 1503, in seiner
Denkschrift, wie die Rebellen des Chianatal zu behandeln seien, die
Notwendigkeit der Zerstörung Arezzos auf das römische Beispiel von
der Bestrafung der Latiner nach dem Sieg bei Sentinum begründet, fast
mit denselben Worten wie in unserem Buch (II, 23). Daher auch seine
eigenartige Auffassung von der Unveränderlichkeit aller menschlichen
Verhältnisse, die gewiß einen Kern von Wahrheit enthält, in dieser
Einseitigkeit aber jede geschichtliche Entwicklung leugnet. Erleichtert
wurde ihm diese Schematisierung zweifellos durch die naheliegende
Parallele zwischen den antiken Stadtstaaten und denen des italienischen
Mittelalters, die sich in beiden Fällen aus kleineren Stadtrepubliken zu
größeren Herrschaftsgebieten entwickelten. So glaubte er, aus der
Vergangenheit mit zwingender Logik auf Gegenwart und Zukunft
schließen zu können, und übersah dabei ganz den grundsätzlichen
Unterschied zwischen dem antiken Staatsbegriff mit seiner Allmacht
über das Individuum und der damals entstehenden neueren
Weltanschauung, die für das Individuum einen freieren Spielraum
verlangte. Insofern ist seine Lehre ein vollkommener Anachronismus,
um so erstaunlicher in einer Zeit wie die italienische Renaissance mit
ihrem ausgeprägten Ichgefühl und ihren völlig neuen Horizonten; ja, sie
ist nur aus dem bewußten Gegensatz zu seiner Zeit zu erklären. Während
diese von der Antike nur den schönheitstrunkenen Sinnenkult, die
Fessellosigkeit des Geistes und das Ornament erborgte, im übrigen aber
ganz sie selbst blieb, hat Machiavelli die Rückkehr zur Antike bis zu
ihren letzten Folgerungen durchdacht und erstrebt.
Die innere Logik dieses Gedankenganges ist klar. Er und alle
klassisch Gebildeten empfanden die Ohnmacht und Unterdrückung
Italiens um so lebhafter, weil Schule, Studium und Altertumsverehrung
das Gedächtnis an die Größe Roms täglich erneuerten und der Italiener
der Renaissance sich als unmittelbaren Erben der Römer empfand. Aus
dem strahlenden Vorbild des Altertums schöpften, wie Machiavelli am
Anfang dieses Buches betont, die Künstler, die Ärzte, die Juristen ihre
tiefsten Anregungen; warum sollten es die Staatsmänner nicht tun? Der
klaffende Gegensatz zwischen Ideal und Wirklichkeit der Renaissance
prägt sich wohl nirgends so stark aus wie hier! ... So endigt Machiavelli,
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