Page 683 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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liebte, konnte freilich auch eine gepfefferte Ehebruchskomödie wie die
                »Mandragola« schreiben, deren ärgste Anstößigkeiten er allerdings in
                lateinische Worte kleidete. Sie gilt zwar noch heute für das beste

                Lustspiel des Cinquecento (Voltaire stellte sie über Aristophanes und
                dicht hinter Moliere), aber welche Sittenverderbnis spricht daraus, daß
                ein Geist wie Machiavelli ein solches Werk schrieb, daß er damit den
                Beifall der geistigen Auslese fand und daß sie sich mit ihm in den
                Schrecknissen der damaligen politischen Umwälzungen die Sorgen
                verscheuchte! Die sittlichen Mängel dürfen uns freilich das Gesamturteil
                über Machiavelli nicht trüben: nicht mit Unrecht nennt Mohl ihn »das

                mächtige, wenn auch verstümmelte Bruchstück eines großen Mannes«.


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                Der dritte Grund für die Problematik von Machiavellis Natur liegt, wie
                wir sahen, in der Umstrittenheit seiner politischen Probleme. Ein Blick
                auf die Zeitgeschichte erklärt die Art seiner Problemstellung und die
                Grenzen und Lücken seiner Lehren. Im zweiten Kapitel des ersten
                Buches der »Diskurse« hat er selbst im Anschluß an Polybios den

                trostlosen Kreislauf beschrieben, zu dem nach seiner Meinung die
                meisten Staaten verurteilt sind. Er zeigt dort, wie die Fürstenherrschaft
                zur Tyrannei ausartet, wie Adel und Volk sich dagegen auflehnen, der
                Adel die Macht an sich reißt, sie mißbraucht, wie das Volk die
                Adelsherrschaft stürzt und an ihre Stelle eine Volksherrschaft setzt, die
                alsbald zur Zügellosigkeit und zum Kampf aller gegen alle ausartet, aus
                dem allein die Fürstenherrschaft den Staat retten kann. Dieser circulus
                vitiosus, gesteht Machiavelli, würde immer wiederkehren, wenn nicht

                äußere Umstände, die Eingriffe fremder Mächte, zur völligen
                Versklavung dieser aufrührerischen Freistaaten führten. In solchen
                Verhältnissen befanden sich jedenfalls die italienischen Staaten des
                ausgehenden Mittelalters. Die Wiege der Künste und Wissenschaften,
                der Mittelpunkt einer Kultur, vor der Europa staunte und von der es

                jahrhundertelang die wertvollsten Anregungen empfing, bot zugleich das
                Bild politischer Anarchie, sittlicher Verwilderung und Irreligiosität. Ein
                Staat fiel über den anderen, ein Mensch über den anderen her, um ihn zu
                vergewaltigen. Alle Mittel waren in diesem Kampf aller gegen alle recht,
                Dolch und Gift und das selbstmörderischste von allen: das Hereinrufen
                fremder Mächte, zu deren Zankapfel und Schlachtfeld das reiche und
                blühende Land wurde. So wurde der alte Schlachtruf Petrarcas, Italien

                von den Barbaren zu befreien, zum Losungswort der besten Patrioten;





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