Page 685 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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einer usurpatorischen Macht für notwendig erachtet, auch auf ein ruhiges
                und gesetzmäßiges Fürstentum Anwendung finden könnten ... Ein
                solcher Fürst kann wohl daran denken, die Ideen zu handhaben, auf

                welchen die allgemeine Weltordnung beruht; er besitzt die Gewalt;
                niemand macht sie ihm streitig.« So hat denn auch Friedrich in seiner
                Jugendschrift die Menschheitsideale der Aufklärung gepredigt, bevor er
                sie als Herrscher verwirklichte.
                     Machiavelli dagegen geht lediglich von realpolitischen Erwägungen
                aus. In bewußtem Gegensatz zum sterbenden Mittelalter, dessen
                Staatslehre auf abstrakten Gedanken über Recht, Sittlichkeit und

                Bestimmung des Menschen beruhte, spottet er »Fürst«, Kap. 15. der
                Ideologen, die sich utopische Staaten erträumen. An Stelle solcher
                Wolkengebilde setzt er scharfe, vom Verstand herausgebildete, aus dem
                Geist der Antike geborene Umrisse. Alles Metaphysische liegt ihm fern.
                Die harte, altrömische Staatsauffassung, die den Menschen lediglich als
                Objekt des Staatszweckes betrachtet, ist für ihn entscheidend, die

                Weltgeschichte nur eine richtige oder falsche Anwendung der römischen
                Grundsätze. Sitte, Recht und Religion gelten ihm nur so viel als sie dem
                Staatszweck dienen; sie sind nur Kräfte im politischen Kalkül, keine
                selbständigen Mächte der Menschenseele. So wird seine Staatskunst zu
                einem verstandesmäßigen Spiel der Kräfte, einer Schachpartie, in der
                Klugheit und Konsequenz den Zufall bändigen und das Glück zu
                zwingen, einem gewaltigen Glücksspiel. Irgendein sittliches Streben

                außer gesundem oder ungesundem Ehrgeiz sucht man in seiner
                Staatslehre vergebens. Sein gesunder, moralischer Pessimismus steht
                zwar in wohltuendem Gegensatz zu der wahnwitzigen und
                verhängnisvollen Lehre Rousseaus von der »natürlichen Güte« des
                Menschen ..., aber er hat ihn doch weit über das Ziel zu einer
                Menschenverachtung fortgerissen, die gerade dem edleren Streben der

                Besten in seinem Staat bitter wenig Raum läßt. Diese rein
                verstandesmäßige Rechnung war falsch. »Wie wird verlorene Freiheit
                wiedergewonnen?« läßt C. F. Meyer, der rückschauende Dichter der
                italienischen Renaissance, seinen todkranken Pescara fragen. »Durch
                einen aus der Tiefe des Volkes kommenden Stoß und Sturm der sittlichen
                Kräfte. Ungefähr wie sie jetzt in Germanien den Glauben erobern, mit
                den Flammen des Hasses und der Liebe. Was vermögt Ihr Italiener?

                Verführung, Verrat und Meuchelmord. Worauf zählt Ihr? Auf die Gunst
                der Umstände, die Würfel des Zufalls, auf das Spiel der Politik. So
                gründet, so erneuert sich keine Nation. Da kann niemand helfen, weder
                ein Mensch noch ein Gott.«





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