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Unser „Stadion“ auf Tidow’s Hauskoppel hatte den riesigen Vorteil, nicht gemäht   Lübeck, Ratzeburg, Mölln, Schwartau, Oldesloe selbst im Winter draußen vor dem
 werden zu müssen. In der Woche sorgten Kühe für den notwendigen „Schnitt“. Es   Scheunentor, den Wassereimer teilend, vom Dreck befreiten.
 gab eine Begleiterscheinung, die uns vor Heimspielen zusätzlich zum normalen   Jedes Jahr wurde Nahe erneut aufgefordert, die mangelhaften Waschgelegenhei-
 Platzaufbau beschäftigte. Bewaffnet mit Karre und Schaufeln gingen wir auf Kuh-  ten zu ändern! Daß sich in Nahe ganz langsam etwas tat, beweist ein Schriftstück
 fladen-Jagd. Zum Glück deutete sich der jeweilige Lageort schon von weitem an,   an den Bezirk 4 (Lübeck) mit der Vollzugsmeldung, daß sich die Waschgelegen-
 denn das Aufzuschaufelnde war meist mit besonders gut gedeihendem Gras um-  heit verbessert habe. Tatsache: Es wurden 4 neue Plastikeimer angeschafft!
 rahmt.
       Wäre es anders gewesen, könnte man dann jetzt mit einem Schmunzeln darüber
 Dennoch erforderte das „Aufsammeln“ besondere Fähigkeiten, denn so eine   berichten?
 Flade wird immer länger, und oft genug fand man die nicht vollständig beseitigten
 Kuhfladen-Spuren nach dem Spiel als Reste am Trikot.   Schiedsrichter-Leistungen gab es auch! Positive und negative. Meist werden nur
       negative (aus Sicht der Verlierer) „belohnt“. So haben aufgebrachte Zuschauer-
 Übrigens, einmal war das liebe Hausvieh besonders gefräßig. Stolz wurden un-  massen“ einen Holzklotz in den Auspuff des geliebten Schiedsrichter-Autos ge-
 sere gebastelten und genähten Spielfeld-Begrenzungsfahnen vor dem Spiel recht-  stopft, wodurch der Pfeifenmann am zügigen Abreisen aus Nahe gehindert wurde.
 zeitig in Position gebracht. Leider zu rechtzeitig, denn beim Auflaufen der Mann-  Er mußte „nette“ Worte und Drohungen über sich ergehen lassen.
 schaften sah man gerade noch, wie eine besonders hungrige Kuh die letzte
 Fahne von der Stange biß. Es war noch keine Kunstfaser.   So glimpflich lief es für Schiedsrichter und Spieler nicht immer ab. 1949 gab’s ein
       „Jackvoll“ in Seth. Schlimmeres wurde nur durch einen Sprung in den Bäckerwa-
 Ansonsten erfüllte die Qualität des Rasens nicht ganz die sportverbandsseitig   gen und durch Flucht verhindert. Was blieb waren ein paar Beulen und das Kopf-
 empfohlene Zusammensetzung für einen Sportplatzrasen, besonders nicht die   schütteln, daß so etwas passieren kann. Aber das kann heute wohl auch nicht
 Anforderungen an den prozentualen Klee-Anteil, genügte aber durchaus unseren   überall vermieden werden. Waren es damals schon Fan-Clubs?
 spielerischen Fähigkeiten. Nicht immer war die Mannschaft vollzählig beim Auf-
 bau, nicht einmal beim Anpfiff. Es gab notorische „Zuspätkommer“, aber auch Ty-  Handgelder? Prämien? Ablösesummen? Damals bekannte Begriffe?
 pen, die einfach die Zeit verpennten (zur letzteren Gruppe „dürfte“ ich mich auch   Ich kann mich nicht erinnern. Wir spielen Fußball, um zu spielen! Als sinnvolle
 zählen).
       Freizeitbeschäftigung. Als Dank für einen Sieg oder als Trost für eine Niederlage
 Die Zuschauer waren von uns begeistert!   waren allerdings anschießend „Kuchenschlachten, ermöglicht durch Robert
       Rathje, nicht selten.
 So stellt es sich zumindest aus heutiger Sicht dar! Wenn Willi Dittmann und Hugo
 Kell fast bei jedem Anpfiff an der Außenlinie mitstürmten und dabei gestikulierend   Erinnerungs-Splitter? Der TSV Nahe hat viele Jugendliche in ihrer Entwicklung
 und beinschwingend die Schüsse mitempfanden, muß Begeisterung dabei gewe-  geformt und geprägt. Eine bleibende Aufgabe auch für die Zukunft.
 sen sein. Wenn da andere Zuschauer nicht respektvollen Abstand hielten, be-  Man wäre ärmer, wenn derartige Erlebnisse und Erinnerungen fehlen würden. Es
 stand Verletzungsgefahr. Hein Hüttmann soll sich bei einer derartigen „Flanke   war eine schöne Zeit, von der ich gern ohne Übertreibung schwärme. Und wenn
 ohne Ball“ einen Hieb eingefangen haben. Ein anderes Mal legte man dem Be-  ich oft von „uns“ und „wir“ gesprochen habe, dann meine ich z.B. die erfolgreiche
 geisterten unbemerkt einen Ball vor das „flankende Bein“ – zum Unmut des derart   Jungmann (A-Jugend) 1954 kurz bevor einige Spieler den Schritt in die 1. Herren-
 Geneckten und zum Gaudi der Umstehenden.    Bezirksliga-Mannschaft getan haben.
 Gibt es auch heute noch ähnliche Zuschauer-Originale?
 Der TSV Nahe schreibt seine Fußball-Geschichte nicht ohne den Hinweis auf die   Unterschrift: Siegmar Gomille
 Besonderheiten der Umkleideräume und Waschgelegenheiten. Wir fielen wirklich
 aus dem Rahmen! Während andere Vereine sehr bald eigene Räume zum Um-
 kleiden hatten und sich unter fließendem Wasser waschen konnten, mußten wir
 lange in der Nachbarschaft von Kühen und Pferden unsere schwarz-roten Trikots
 überstreifen, nicht ohne vorher teilweise Stroh-Reste und Gerätschaften beiseite
 geräumt zu haben. Die Waschgelegenheit beschränkte sich auf Eimer mit kaltem
 Wasser. Es war ein eigenartiger Anblick, wenn sich verwöhnte Mannschaften aus

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