Page 70 - RochadeFlipTest1
P. 70
Die Endspielkünste des dritten Welt- meisters der Schachgeschichte sind le- gendär. José Raúl Capablanca wurde von seinen Zeitgenossen mitunter als „Schachmaschine“ bezeichnet – so be- eindruckt waren sie von der Präzision und Leichtigkeit, mit der er eine Partie nach der anderen gewann. Aber wie sehen seine Partien aus heutiger Sicht und mit modernen „Schachmaschinen“ betrachtet aus? Wir haben bewusst ei- nige Partien ausgewählt, die nicht zu den bekanntesten zählen, die aber ty- pisch für Capablancas Stil sind.
Die folgende Partie war die 23. eines Wettkampfs zwischen dem amerikani- schen Meister Frank Marshall und dem jungen Capablanca. Marshall galt der- zeit als einer der stärksten Spieler der Welt, während der 21-jährige Kubaner international noch kaum bekannt war. Dennoch führte Capablanca im Match schon deutlich, als diese Partie gespielt wurde.
K F. Marshall k J. Capablanca
New York 1909 Damengambit, Tarrasch [D34]
1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 c5 4.cxd5 exd5 5.Sf3 Sc6 6.g3 Le6
Die heutige Hauptvariante geht wei- ter mit 6...Sf6 7.Lg2 Le7 8.0-0 0-0, aber auch gegen Capablancas Zug ist nichts einzuwenden.
7.Lg2 Le7 8.0–0 Sf6 9.Lg5 Se4! 10.Lxe7 Dxe7 11.Se5?
Doch dieser Zug ist nicht zu empfehlen. 11.Tc1 ist eine bessere Alternative.
XABCDEFGHY 8r+ +k+ tr( 7zpp+ wqpzpp' 6 +n+l+ +& 5+ zppsN + % 4 + zPn+ +$ 3+ sN + zP # 2PzP +PzPLzP" 1tR +Q+RmK ! xabcdefghy
11...Sxd4!?
Capablanca hat keine Angst vor den fol- genden Vereinfachungen, denn sicher- lich hatte er hier schon die Bauernma- jorität am Damenflügel im Auge.
12.Sxe4 dxe4 13.e3
13.Lxe4? Lh3 geht gar nicht.
13...Sf3+ 14.Sxf3 exf3 15.Dxf3 0–0
XABCDEFGHY 8r+ + trk+( 7zpp+ wqpzpp' 6 + +l+ +& 5+ zp + + % 4 + + + +$ 3+ + zPQzP # 2PzP + zPLzP" 1tR + +RmK ! xabcdefghy
Aufgrund seiner Bauernmehrheit am Damenflügel hat Schwarz langfristig die etwas besseren Aussichten.
Natürlich steht Weiß hier nicht auf Ver- lust, objektiv sogar kaum schlechter, obwohl Schwarz im Verlauf der nächs- ten Züge scheinbar mühelos seinen Vorteil ausbaut. Schauen wir uns zu- nächst an, wie es weiterging, und keh- ren dann noch einmal zu der Ausgangs- frage zurück.
16.Tfc1
Nicht gut wäre 16.Dxb7 Dxb7 17.Lxb7 Tab8 18.Lg2 Txb2, und der aktive schwarze Turm und der freie c-Bauer geben Schwarz Vorteil.
16...Tab8 17.De4 Dc7 18.Tc3 b5 19.a3 c4 20.Lf3 Tfd8
XABCDEFGHY 8 tr tr +k+( 7zp wq +pzpp' 6 + +l+ +& 5+p+ + + % 4 +p+Q+ +$ 3zP tR zPLzP # 2 zP + zP zP" 1tR + + mK ! xabcdefghy
Vermutlich hatte Marshall diese Posi- tion falsch eingeschätzt. Es ist verblüf- fend, aber Weiß hat hier schon ernst- zunehmende Probleme. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als stünden die weißen Bauern alle auf der richtigen Farbe, während die schwarzen Bau- ern auf der Läuferfarbe festgelegt sind. Dass die schwarzen Figuren mehr Möglichkeiten haben, und die Bauern am Damenflügel gar nicht so festgelegt sind, wie es scheint, wird Capablanca im Folgenden beweisen. Was also hat Weiß falsch gemacht?
Zunächst einmal hat er dem Gegner die wichtige d-Linie überlassen. Statt des passiven Zugs 16.Tfc1?! sollte er also mit 16.Tfd1 die offene Linie beset- zen. Danach sollte er den Aufmarsch der schwarzen Bauern so gut wie möglich abbremsen und seine Figuren aktivieren.
Eine Idee dieser Art war z.B. 18.Lf1 statt 18.Tc3. Eine wichtigere Ungenauigkeit kam aber erst im nächsten Zug: Hier sollte Weiß mit 19.b3 statt mit 19.a3?! bremsen, und Weiß hat immer noch volles Spiel.
Nach diesem Punkt geht es schon um Schadensbegrenzung: 20.b3 Da5 kann für Weiß nicht mehr so recht gefallen. Vielleicht hätte Weiß hier Laskers Em- pfehlung 20.Td1 nebst 21.Tcc1 folgen sollen, um wenigstens auf der d-Linie dagegen zu halten.
21.Td1 Txd1+ 22.Lxd1 Td8 23.Lf3 g6 24.Dc6 De5!
Nun droht ...Td2.
25.De4 Dxe4 26.Lxe4
XABCDEFGHY 8 + tr +k+( 7zp + +p+p' 6 + +l+p+& 5+p+ + + % 4 +p+L+ +$ 3zP tR zP zP # 2 zP + zP zP" 1+ + + mK ! xabcdefghy
26...Td1+!
70
R O C H A D E E U R O PA MAI 2017
endspiel
WGM BETTINA TRABERT & GM SPYRIDON SKEMBRIS
CAPABLANCA
ENDSPIELUNIVERSITÄT FOLGE 81