Page 89 - Dez2017
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Preise solcher Weine noch irgendetwas mit der Realität zu tun, mit dem Geschmack der Weine?
Aber natürlich, sagt der Franzose. „Wenn man die Müllers kennenlernt und das Weingut sieht – da ist so viel Poesie. Egon ist elegant, sein Wein ist elegant. Und Valeska – sie hat immer ein Lächeln auf den Lippen.“
Es gibt Taschenkrebssalat, gefolgt von langsam gegartem Rind eisch. Irgendwann holt Müller eine Flasche Burgunder aus dem Keller, Romanée- Conti, Jahrgang 95, Lage Grand Échezeaux. Ein leiser Aufschrei bei dem Norweger, der mit einem Blick erkannt hat, dass es sich hier um einen großen Jahrgang eines der berühmtesten Weingüter der Welt handelt. Ich nehme einen Schluck. Er schmeckt wie Rotwein, vielleicht ein wenig herb. Es ist vielleicht nicht der richtige Moment, aber ich muss an all die Blindverkostungen denken, von denen ich gelesen habe, bei denen sich immer wieder zeigte, dass selbst Experten Schwierigkeiten haben, zwischen einem teuren und einem billigen Wein zu unterscheiden.
„Liquid sex!“, ruft Akos, der Ungar, der neben Valeska Müller sitzt. Sie lächelt nur. Sie kennt ihn, sie nimmt seine Sprüche nicht mehr ernst. Außerdem ist es genau dieses Machotum, glauben die Müllers, mit dem er seine Kunden zu immer neuen Höchstpreisen herausfordert.
Als die Gesellschaft gegen elf Uhr abends auf den Innenhof des Gutshofs tritt, nieselt es immer noch. Der Franzose besteht darauf, mich zurück nach Trier zu fahren. Er hat ein paar Wein zu viel getrunken. Kein Problem, sagt er, er kenne einen Schleichweg durch die Weinberge.
„Glauben Sie wirklich, dass die Weine vom Scharzhofberg eine Poesie haben, die andere Weine nicht haben?“, frage ich, als wir im Schneckentempo über die regennasse Straße kriechen.
„Es gibt andere Weine, die sehr elegant sind, aber sie lösen nicht dieselben Gefühle in Ihnen aus.“
„Was meinen Sie genau?“, frage ich.
Gérard sieht mich von der Seite an. „Wenn Sie etwas für einen Mann emp nden – können Sie dieses Gefühl beschreiben?“
„Eigentlich schon“, sage ich. „Dann lieben Sie ihn nicht“, sagt er. Ich schweige. Ich ahne, dass alles, was ich jetzt noch sage, mich als Banausin ausweisen wird, im Wein und in der Liebe.
poetry. Egon is elegant, and his wine is elegant. And Valeska - she always has a smile on her lips.“
There‘s crab salad followed by slow-boiled beef. At some point Müller takes a bottle of Burgundy from the cellar, Romanée-Conti, vintage 95, layer Grand Échezeaux. A quiet scream from the Norwegian, who realises at a glance that this is a great vintage of one of the most famous wineries in the world. I‘ll take a sip. It tastes like red wine, perhaps a little tart. It is perhaps not the right time, but I must think of all the blind tastings which I have read about, which again showed that even experts have dif culty distinguishing between an expensive and a cheap wine.
„Liquid sex!“ calls out the Hungarian sitting next to Valeska Müller. She‘s just smiling. She knows him, and she doesn‘t take his sayings seriously anymore. Moreover, it is precisely this machismo, the Müllers believe, with which he able to challenge his customers at ever new top prices.
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