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Geschichte
Im gleichen Jahr 1976 wurde die lucoNa von Udo Proksch, dem Prokuristen des bekannten Wiener Traditions-Kaffeehau- ses Demel, gechartert. Proksch, der tat- sächlich Eigentümer des Cafés Demel war, galt als das „Enfant terrible“ der Wie- ner Gesellschaft. Gleichwohl verfügte er über beste Beziehungen in die österrei- chische Politik. So beherbergte Proksch im Obergeschoss seines Kaffeehauses den „Club 45“, einen 1973 gegründe- ten, sozialdemokratischen Herrenclub, dem viele hochrangige Mitglieder der SPÖ, die damals in Österreich mit abso- luter Mehrheit regierte, und auch zahlrei- che führende Köpfe aus der Wirtschaft angehörten.
Fracht den Hafen von Chioggia. An Bord befanden sich neben den zehn Besat- zungsangehörigen auch die Frau des Kapitäns sowie die Verlobte des Leiten- den Ingenieurs.
Nach einer Reise von 17 Tagen explo- dierte in der Nähe der Malediven mitten im Indischen Ozean unvermittelt eine an Bord versteckte Bombe, deren Spreng- stoff aus österreichischen Heeresbestän- den stammte. Durch die Wucht der Deto- nation zersplitterten die Fenster des Steu- erhauses. Sofort war klar, dass die lucoNa verloren war, weshalb Kapitän Puister der Besatzung befahl, das rasch sinkende Schiff zu verlassen. Die sechs unter Deck befindlichen Besatzungsmitglieder hat-
größte Politikskandal Österreichs der Nachkriegszeit. 15 Jahre lang, von 1977 bis 1992, bewegte die schon bald als „lucoNa-Skandal“ bezeichnete Affäre, in die auch zahlreiche hochrangige Poli- tiker verstrickt waren, das ganze Land. Vorwürfe wurden laut, Prokschs Freunde in der Politik hätten versucht, die Ermitt- lungen gegen ihn zu behindern. Ein mit der Aufklärung beauftragter, von 1988 bis 1989 tagender Untersuchungsaus- schuss des österreichischen Parlaments hatte den Rücktritt des damaligen Par- lamentspräsidenten und des Innenmi- nisters zur Folge. Insgesamt kostete das politische und juristische Nachspiel der Versenkung der lucoNa 16 Politiker, Juristen und Spitzenbeamten ihre Posten oder brachte sie gar vor Gericht.
Erst 1989 wurde Proksch verhaftet und vor dem Landesgericht Wien angeklagt. Um den Sachverhalt endgültig zu klären, erteilte das Gericht einer auf Tiefsee-Bild- aufnahmen spezialisierten US-Firma den Auftrag, die lucoNa zu suchen. Am 5. Feb- ruar 1991 wurde das Wrack gefunden. 15 Stunden Videofilmaufnahmen und etwa 100 Fotos von den stark zerstörten Resten der lucoNa ließen am Ablauf des Verbrechens keinen Zweifel. 1992 wurde Udo Proksch wegen sechsfachen Mordes zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt. Er starb 2001 in der Haft. Als Mittäter wurde der deutsche Kaufmann Hans Peter Daimler 1997 vom Landgericht Kiel wegen Beihilfe zu sechsfachem Mord und versuchtem Versicherungsbetrug zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt. 7
Udo Proksch (M.) auf dem Weg in den Gerichtssaal (Archivbild vom 28. Januar 1991)
„Jedes Gericht tut sich schwer mit der Aufklärung einer Tat, die 20 Jahre zurückliegt. Besonders schwer tut es sich, wenn wie hier die überlebenden Opfer nur traumatische Erinnerungen haben. Sie sahen, wie die anderen, die auf der Lucona mitfuhren, um ihr Leben kämpfend, elend ertran- ken, wie ihre Leiber von der Wucht der Detonation zerfetzt wurden, wie ihnen nicht mehr zu helfen war. Sie erinnern ihre zum Teil schwersten Ver- letzungen, mit denen sie zehn Stun- den lang frierend und unter Schock in einem kleinen Rettungsboot trieben, ehe sie von einem türkischen Öltan- ker gerettet wurden.”
Gisela Friedrichsen, Der Spiegel, 1997
In dem an der Adria gelegenen, ober- italienischen Hafen Chioggia nahm die lucoNa Ende 1976 im Auftrag von Proksch eine angebliche Uranerz-Auf- bereitungsanlage an Bord. Bestim- mungshafen war Hongkong, als Adres- sat der Lieferung diente ein Strohmann von Proksch. Letzterer hatte die vermeint- lich wertvolle Ladung, die in Wahrheit nur aus wertlosem Schrott bestand, bei der Bundesländer-Versicherung in Wien mit 212 Mio. Schilling – das entspricht umge- rechnet etwa 48 Millionen Euro – versi- chert. Zugleich hatte Proksch dafür Sorge getragen, dass die lucoNa ihr Ziel nie errei- chen würde, wobei er den Tod der gesam- ten Besatzung billigend in Kauf nahm. Am 6. Januar 1977 verließ die lucoNa unter dem Kommando des niederlän- dischen Kapitäns Jacob Puister mit ihrer
ten keine Chance. Sie wurden von der lucoNa mit in die Tiefe gerissen. Die sechs Überlebenden, darunter auch der Kapitän und seine Frau, fanden Zuflucht in einer automatisch aufblasbaren Rettungsinsel und wurden am folgenden Tag von einem türkischen Tanker aufgenommen.
Als Udo Proksch nach dem Untergang der lucoNa seine Ansprüche gegenüber der Bundesländer-Versicherung geltend machen wollte, verweigerte diese die Auszahlung der Versicherungssumme, da es erhebliche Zweifel an der tatsäch- lichen Beschaffenheit der Ladung gab. Rasch stellte sich heraus, dass die angeb- liche Uranerz-Aufbereitungsanlage nie existiert hatte. Durch die folgenden Untersuchungen und journalistischen Recherchen wurde aus einem versuch- ten Versicherungsbetrug der bis dahin
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Foto: picture alliance/dpa/epa apa Robert Jäger


































































































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