Page 36 - Blickpunkt Film 2006_33
P. 36

36_Preview_FdW_BF33  08.08.2006  10:44 Uhr  Seite 36




                                                                     PREVIEW
                                                                           Film der Woche


























                                                                     Der Horror wartet auf die New Yorker Cops  John McLoughlin und seine Männer eilen im World Trade Center zu Hilfe

                                                                     World Trade Center

                                                                     Die Hölle auf Erden




                                                                     Nachdem Paul Greengrass sich dem großen Trauma 9/11 in „Flug 93“ mit
                                                                     Dokustrenge näherte, wählt Oliver Stone für seine Aufarbeitung des
                                                                     Terroranschlags einen konträren Ansatz: „World Trade Center“ setzt der
                                                                     Tragödie in Form eines Survivaldramas maximale Emotion entgegen.      Rettung naht: Ein Marine sucht Überlebende

                                                                     Balsam für eine geschundene Volksseele will  Hoffnung sind der Kitt, der bleibt, wenn   dem Regisseur außergewöhnlich eindring-
                                                                     der Film des einstmals kämpferischsten aller  die Kamera das Trümmerfeld in Downtown  liche Bilder, von denen der Film bis zum En-
                                                                     amerikanischen Mainstream-Filmer sein –  Manhattan mit den beiden überlebenden   de zehrt. Denn was folgt, ist ein Stillleben
                                                                     und womöglich auch eine Wiedergutma-  Polizeibeamten John McLoughlin und Will  des Schreckens: Die Hölle auf Erden, das ist
                                                                     chung dafür, dass Stone das konservative  Jimeno nach aufreibenden 129 Minuten  hier nicht die Auflösung aller Ordnung an
                                                                     Kinopublikum in den Red States zuletzt in  endgültig verlässt. Auf ihrer denkbar simplen  der Oberfläche, sondern die Qual der Beam-
                                                                     „Alexander“ mit so etwas Unerhörtem wie ei-  Geschichte am 11. September 2001 fußt der  ten McLoughlin und Jimeno, eingeklemmt
                                                                     nem bisexuellen Feldherrn konfrontierte.  gesamte Film, der Politik außen vor lässt und  nicht in der Lage zu sein, irgendetwas zu tun.
                                                                     Denn kontrovers ist an „World Trade Center“  den Fokus einzig auf die menschliche Dimen-  Ruhig hält die Kamera in Großaufnahme auf
                                                                     nur das Thema selbst, nicht aber dessen Auf-  sion der Tragödie richtet. Entsprechend sind  die von Schmerz und Verzweiflung gezeich-
                                                                     arbeitung und der Inhalt. Konsequent ver-  die ersten Bilder des Films von einem friedli-  neten Gesichter von Nicolas Cage und Mi-
                                                                     traut Stone in dem ungewöhnlich konventio-  chen, schlafenden New York mit der vertrau-  chael Pena, die nur die Unterhaltung mit-
                                                                     nell inszenierten Stoff auf das Regelwerk des   ten Skyline mit den Twin Towers bereits auf-  einander am Leben hält. Um die Klaustro-
                                                                     Melodrams, als müsste man auf Vertrautes  geladen mit einer furchtbaren Spannung –  phobie nicht völlig unerträglich zu machen,
                                                                     bauen, um sich überhaupt in den Wahnsinn  die Ruhe vor dem Sturm des Jahrhunderts.  schneidet Stone immer wieder auf ihre
                                                                     dieses Tages zu wagen. Familie, Liebe und  Mit schnellen Schnitten skizziert Oliver Stone  Lieben (Maria Bello und Maggie Gyllenhaal)
                                                                                                        die tägliche Routine der Männer, die gleich  und die Rettungsversuche in Ground Zero.
                                                                       World Trade Center               in den Mittelpunkt des Films rücken werden:  Doch das Zentrum sind die beiden Cops,
                                                                       Verleih: UIP                     Den nahenden Horror zeigt er nur kurz an-  denen der Film das verweigert, was ameri-
                                                                       USA 2006 Genre: Drama Produktion:  hand des vorbeihuschenden Schattens von  kanische Heroen gemeinhin ausmacht: Sie
                                                                       Michael Shamberg, Stacey Sher, Moritz
                                                                       Bormann, Debra Hill, Oliver Stone Regie:  Flug AA 11 auf einem Hochhaus. Ganz nah  dürfen keine Männer der Tat sein. Dass ih-
                                                                       Oliver Stone Drehbuch: Andrea Berloff  ist die Kamera an den Polizisten dran, als sie  nen der Film dafür ein Denkmal setzt, macht
                                                                       Darsteller: Nicolas Cage, Maria Bello,  aus dem Alltag gerissen werden und im Bus  ihn doch verblüffend subversiv. Und na-
                                                                       Michael Pena, Maggie Gyllenhaal, Jay
                                                                       Hernandez Laufzeit: 129 Min.     dem Inferno entgegenfahren, trotz akuter  türlich ungemein emotional und mitrei-
                                                                                                        Lebensgefahr in den Nordturm stürmen und  ßend: Seiner Tränen muss man sich hier
                                                                       » D-Start: 28. September 2006
                                                                       » US-Start: 9. August 2006,      beim Einsturz des Gebäudes im Fahrstuhl-  nicht schämen – der Film hat sie sich ehrlich
                                                                         bei Paramount
                                                                                                        schacht Zuflucht suchen. Dabei gelingen  verdient.  ts
                                                                     36                                                                                    Blickpunkt:Film 33/06
   31   32   33   34   35   36   37   38   39   40   41