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PREVIEW
Film der Woche
Der Horror wartet auf die New Yorker Cops John McLoughlin und seine Männer eilen im World Trade Center zu Hilfe
World Trade Center
Die Hölle auf Erden
Nachdem Paul Greengrass sich dem großen Trauma 9/11 in „Flug 93“ mit
Dokustrenge näherte, wählt Oliver Stone für seine Aufarbeitung des
Terroranschlags einen konträren Ansatz: „World Trade Center“ setzt der
Tragödie in Form eines Survivaldramas maximale Emotion entgegen. Rettung naht: Ein Marine sucht Überlebende
Balsam für eine geschundene Volksseele will Hoffnung sind der Kitt, der bleibt, wenn dem Regisseur außergewöhnlich eindring-
der Film des einstmals kämpferischsten aller die Kamera das Trümmerfeld in Downtown liche Bilder, von denen der Film bis zum En-
amerikanischen Mainstream-Filmer sein – Manhattan mit den beiden überlebenden de zehrt. Denn was folgt, ist ein Stillleben
und womöglich auch eine Wiedergutma- Polizeibeamten John McLoughlin und Will des Schreckens: Die Hölle auf Erden, das ist
chung dafür, dass Stone das konservative Jimeno nach aufreibenden 129 Minuten hier nicht die Auflösung aller Ordnung an
Kinopublikum in den Red States zuletzt in endgültig verlässt. Auf ihrer denkbar simplen der Oberfläche, sondern die Qual der Beam-
„Alexander“ mit so etwas Unerhörtem wie ei- Geschichte am 11. September 2001 fußt der ten McLoughlin und Jimeno, eingeklemmt
nem bisexuellen Feldherrn konfrontierte. gesamte Film, der Politik außen vor lässt und nicht in der Lage zu sein, irgendetwas zu tun.
Denn kontrovers ist an „World Trade Center“ den Fokus einzig auf die menschliche Dimen- Ruhig hält die Kamera in Großaufnahme auf
nur das Thema selbst, nicht aber dessen Auf- sion der Tragödie richtet. Entsprechend sind die von Schmerz und Verzweiflung gezeich-
arbeitung und der Inhalt. Konsequent ver- die ersten Bilder des Films von einem friedli- neten Gesichter von Nicolas Cage und Mi-
traut Stone in dem ungewöhnlich konventio- chen, schlafenden New York mit der vertrau- chael Pena, die nur die Unterhaltung mit-
nell inszenierten Stoff auf das Regelwerk des ten Skyline mit den Twin Towers bereits auf- einander am Leben hält. Um die Klaustro-
Melodrams, als müsste man auf Vertrautes geladen mit einer furchtbaren Spannung – phobie nicht völlig unerträglich zu machen,
bauen, um sich überhaupt in den Wahnsinn die Ruhe vor dem Sturm des Jahrhunderts. schneidet Stone immer wieder auf ihre
dieses Tages zu wagen. Familie, Liebe und Mit schnellen Schnitten skizziert Oliver Stone Lieben (Maria Bello und Maggie Gyllenhaal)
die tägliche Routine der Männer, die gleich und die Rettungsversuche in Ground Zero.
World Trade Center in den Mittelpunkt des Films rücken werden: Doch das Zentrum sind die beiden Cops,
Verleih: UIP Den nahenden Horror zeigt er nur kurz an- denen der Film das verweigert, was ameri-
USA 2006 Genre: Drama Produktion: hand des vorbeihuschenden Schattens von kanische Heroen gemeinhin ausmacht: Sie
Michael Shamberg, Stacey Sher, Moritz
Bormann, Debra Hill, Oliver Stone Regie: Flug AA 11 auf einem Hochhaus. Ganz nah dürfen keine Männer der Tat sein. Dass ih-
Oliver Stone Drehbuch: Andrea Berloff ist die Kamera an den Polizisten dran, als sie nen der Film dafür ein Denkmal setzt, macht
Darsteller: Nicolas Cage, Maria Bello, aus dem Alltag gerissen werden und im Bus ihn doch verblüffend subversiv. Und na-
Michael Pena, Maggie Gyllenhaal, Jay
Hernandez Laufzeit: 129 Min. dem Inferno entgegenfahren, trotz akuter türlich ungemein emotional und mitrei-
Lebensgefahr in den Nordturm stürmen und ßend: Seiner Tränen muss man sich hier
» D-Start: 28. September 2006
» US-Start: 9. August 2006, beim Einsturz des Gebäudes im Fahrstuhl- nicht schämen – der Film hat sie sich ehrlich
bei Paramount
schacht Zuflucht suchen. Dabei gelingen verdient. ts
36 Blickpunkt:Film 33/06