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traurige. Das Ergebnis: Frauen emp­  menhalten!“ Offenbar begleitet und
 fanden die negativen Emotionen ins­  beeinflusst  uns  unsere  erlernte  Ge­  SPRACHE,
 gesamt stärker und – je niedriger ihr   schlechtsidentität  ein  Leben  lang,   GENDER,
 Testosteronspiegel war – desto sen­  und  wir  richten  vielfach  unser  Ver­
 sibler  reagierten  sie.  Sie  erinnern   halten danach aus (Sauerbrey 2012).
 sich bestimmt an die oben beschrie­
 benen durchschnittlichen Persönlich­  Zusammenfassend kann man sagen,        PSYCHOTHERAPIE
 keitsunterschiede zwischen ihm und   dass  Faktoren  der  Wesensprägung
 ihr,  welche  angesichts  solcher  Be­  hochkomplex  sind  und  es  außeror­
 funde  wohl  auch  mit  unserem  Hor­  dentlich schwierig ist, die gestellten
 moncocktail  im  Körper  zusammen­  Fragen  eindeutig  zu  beantworten
 hängen. So weit, so biologisch.   (Hilbig, 2000). Zu vermuten ist, dass
 sowohl  biologische  als  auch  gesell­  Psychotherapie  wird  gefordert  und   samt mehr Rechtshändige gab,   wurden und werden ausgeschlossen,
 schaftlich bedingte Einflüsse vorhan­  beeinflusst durch die Gesellschaft, in   waren Türgriffe, Stifte, etc. für   eingesperrt,  diskriminiert,  umope-
 Erlerntes Verhalten  den sind und beiderseits – aber auch   der  einzelne  Menschen  versuchen,   sie optimiert. Sie brauchten diese   riert,  getötet  oder  beschämt.  Und
 in  einem  Zusammenwirken  –  eine   sich  zurechtzufinden.  Dem  Thema   wegen der Arbeit ja mehr. Links-  das ist leider kein Märchen.
 Auf der anderen Seite der Diskussion   Rolle spielen für das Anderssein von   Gender  im Leben und damit auch in   händige passten sich dieser Norm
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 besagen Sozialisationstheorien, dass  Mann und Frau (Preuk, 2012).  der Psychotherapie möchte ich mich   an. Alles war gut?
 Mädchen und Jungen von ihrer Um­  über ein ganz anderes, teilweise fikti­     Was hat Gender nun mit Therapie
 welt unterschiedlich behandelt wer­  ABSEITS DAVON ZEIGT SICH IN DER   ves Beispiel nähern:  Okay, warum schreibe ich über Hän­  zu tun?
 den und somit ein verschiedenartiges   GENDER-FORSCHUNG ABER AUCH:  digkeit, wenn es eigentlich um Gen­
 Verhalten  provoziert  wird  (Lippa,   IM  MITTEL  EINT  DIE  GESCHLECH-  In dem Lande Schland lebten   der  und  Geschlecht  gehen  sollte?   Menschen  brauchen  keine  Psycho­
 2010). „Man kommt nicht als Frau zur   TER  V. A.  HEUTZUTAGE  VIEL  MEHR,   Menschen, denen die Hände sehr   Linkshändigkeit war tatsächlich ver­  therapie, weil sie vielfältig sind, son­
 Welt, sondern wird es“ (S. de Beau­  ALS UNS TRENNT. (PREUK, 2012)  wichtig waren. Es gab genau   pönt . Und die Dominanz der Rechts­  dern weil sie keine ausreichend för­
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 voir, 1949/1976). Die kulturellen Vor­  zwei Gruppen: links- und rechts-  händigen gilt mindestens sprachlich   derlichen  Bedingungen  vorfanden,
 stellungen  davon,  was  Mann  und   händige Menschen. Bei der   weiter als Norm – nicht nur in Sprach ­   die  ihnen  geholfen  hätten,  mit  Her­
 Frau ausmachen, sind „allgegenwär­  Geburt wurde die Haupthand   formen  wie  „Das  schaffen  wir  mit   ausforderungen  umzugehen;  oder
 tig“  und  führen  dazu,  dass  wir  gar   diagnostiziert und im Ausweis   links“.  weil noch schädliche Ereignisse hin ­
 nicht mehr wahrnehmen, wie vielfäl­  eingetragen. Es war allgemein            zukamen.
 tig sie uns beeinflussen (Lippa, 2005).   bekannt, dass Menschen mit   Genau  wie  links-  und  rechtshändig
 Mit ca. drei Jahren beginnen Kinder   linker Hand empathischer seien.   gibt  es  angeborene  geschlechtli -   Entsprechend kommen zur Therapie
 ein  Bewusstsein  über  ihr  eigenes     Sie erzogen die Kinder und     che Merkmale, die zu der Kategori-  Menschen,  die  mit  sich  oder  dem
 Geschlecht  zu  erlangen  (Kohlberg,   durften keine körperlichen oder   sierung  in  männlich  und  weiblich     Umfeld nicht mehr ausreichend zu-
 1974) und entwickeln danach stufen­  verantwortungsvollen Tätigkei-  dienten .  Diesen  körperlichen  Un-  rechtkommen  und  darunter  leiden.
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 weise eine eigene Geschlechtsidenti­  ten ausführen. Rechtshändige   terschieden  wurden  weitere  Eigen -   In  der  Psychotherapie­Ausbildung
 tät  (Def.:  Verstehen  und  Empfinden   Menschen, das wussten alle,   schaften  zugeschrieben  –  denen   werden  zukünftige  Therapeut*innen
 der  Zugehörigkeit  zu  einem  Ge­  waren besser im logischen Den-  muss ten  Männer  bzw.  Frauen  ent -   darauf vorbereitet, die Ursachen für

 schlecht;  Bischof­Köhler,  2006).  Sie   ken, konnten besser körperlich   sprechen.  das  Leiden  gemeinsam  mit  den
 fangen  an  zu  erkennen:  Ich  bin  ein   und verantwortungsvoll arbeiten.   Patient*innen  zu  identifizieren  und
 Mädchen, du ein Junge. Kinder ord­  Mit Kindern und Gefühlen   Sätze  wie  „Männer  weinen  nicht“   Strategien zur Bewältigung oder Lö­
 nen schließlich männliche und weib­  hatten sie wenig am Hut. Ent-  oder „eine Dame tut so etwas nicht“   sungen  der  Konflikte  zu  finden  und
 liche  Verhaltensweisen  zu,  bilden    sprechend war es Gesetz zum   sind da nur der Anfang einer langen   umsetzbar zu gestalten. In der Regel
 Kategorien für die Geschlechter, be­  Wohle der Familie, dass rechts-  Kette von nur vermeintlich logischen   heißt  das  für  Patienten  zwei  Dinge:
 werten  das  eigene  Geschlecht  po­  händige Menschen einen links-  Zusammenhängen.  So  galten  Män­  Eigene  Gedanken­  und  Verhaltens­
 sitiver  und  bevorzugen  gleichge­  händigen Menschen heirateten.   ner  gleichzeitig  als  rationaler,  aber   muster  hilfreich  verändern  &  Wege
 schlechtliche  Spielpartner  (Bischof­   „Misch-Ehen“ oder „Homo-Hand-  auch  sexuell  trieborientierter  als    finden,  um  angemessen  klar  zu
 Köhler,  2006).  Bis  ins  Erwach se ­   Ehen“ waren verboten. Es gab ein   die  familienorientierteren  Frauen,   kommunizieren.
   nenalter  bleibt  eine  Favorisierung   paar Abweichungen – Menschen,   die wiederum trotzdem als Verführe­
 und Solidarisierung mit Geschlechts­  die beide Hände gut benutzen   rinnen galten.  Gerade  bei  so  wichtigen  Bereichen
 genossinnen und ­genossen erhalten   konnten. Sie wurden nach                 wie  Sexualität  und  (geschlechtliche)
 (Archer  &  Lloyd,  2002).  Sie  kennen   Möglichkeit umerzogen, in   Intersexuelle,  transsexuelle,  quee-  Identität  wird  häufig  geschwiegen
 solche Appelle bestimmt: „Wir Män­  schweren Fällen operiert, um den   re, diverse und in der sexuellen Ori-  statt  geredet,  weil  hier  unter  ande­
 ner/Frauen  müssen  doch  zusam­  Defekt zu behe ben. Da es insge-  entierung  andersartige  Menschen   rem  Scham  als  starke  Emotion  und




 18  2020 / Ausgabe 34  2020 / Ausgabe 34                                  Gastautor: Georg Adelmann, Diplom Psychologe  19
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