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MÄNNERDEPRESSION  typischen  „fight  or  flight“­Muster   Die  Unterschiede  bei  Frauen  und   Es  besteht  ein  geschlechtsspezifi­

                                             Männern  verweisen  allesamt  auf
           (Kampf oder Flucht ), verlagern Kon­
                                                                               scher  Verzerrungseffekt,  da  die  ge­
           flikte mehr nach außen. Dieses Ver­
                                             tungen und Bewältigungsdefizite.
           halten gehört zu den grundlegenden   geschlechtstypische   Rollenbelas­  nannten typisch männlichen Sympto­
                                                                               me wie Aggressivität, Ärgerattacken,
           Elementen  traditioneller  Männlich­                                Feindseligkeit,  Irritabilität,  Aktivis­
           keit. So war männliche Aggressivi tät   Bei Männern erscheint die Berufsrol­  mus oder exzessiver Alkoholkonsum
           sozial  legitimiert.  Macht  und  Do­  le als die dominierende Stressquel le   nicht in den führenden Depressi ons­
           minanz,  Kontrolle,  Mut,  Leistungs­     (am  besten  untersucht).  Männer    inventarien  enthalten  sind.  Die se
           und Wettbewerbsorientierung, Unab­  haben  nicht  nur  die  gefährlicheren     ge hen eher von der „weiblichen De ­
           hängigkeit,  Autonomie,  Rationalität,     Berufe,  sie  sind  als  rollentypischer   pression“ aus und beinhalten über ­
           Aktivität  und  Unverletzlichkeit  sind     „Hauptverdiener“ stärker von der zu­  wiegend  Symptome  wie  z. B.  An­
           Wertvorstellungen traditioneller Mas ­   nehmenden Arbeitsplatzunsicherheit   triebslosigkeit,  depressive  Verstim­
             ku linität,  von  deren  Erreichung  die   betroffen, sind stärker durch Arbeits­  mung, Grübeln, Selbstvorwürfe.
           Selbstwerteinschätzung abhängig ge ­   losigkeit belastet.
           macht wurde. Dies zu erreichen, geht                                Das  Konzept  der  männlichen  De­
           nur auf Kosten der als weiblich defi­  Krisen entstehen aus einer Kombina­  pression  muss  weiterführend  wis­
           nierten  Emotionen  wie  Angst,  Unsi­  tion von hohen Anforderungen, gerin­  senschaftlich  untersucht  und  ab­
           cherheit,  Schwäche,  Traurigkeit  und   ger Kontrollmöglichkeit,  hoher Ver­  gesichert  werden.  Der  Blick  auf
           Hilflosigkeit.  Hilfe  zu  suchen,  ist  im   ausgabung und geringer Belohnung.   männertypische  Stresssymptome
           Männlichkeitsstereotyp  nicht  vorge ­                              er möglicht sowohl eine bessere De­
           sehen.                            Auch  die  erfolgreiche  Emanzipation   pres sions diagnostik  bei  Männern
                                             der Frauen stellt einen bedeutenden   als auch eine effektivere Suizid prä ­
           Männer  nehmen  in  allen  Alters­  Stressfaktor für Männer dar. Im Un­  vention.
           gruppen  seltener  professionelle   terschied  zu  Frauen,  die  eine  Tren­
           Hilfe  in  Anspruch  (M:F=1:2),  haben   nung/Scheidung  erleben,  steigt  das
           aber  auch  die  höheren  Suizidraten   Depressions­  und  Suizidrisiko  bei   Fazit
           (M:F 6:1).                        Männern um das Mehrfache.
                                                                                Die Depressionsrate von Männern
           Nach  dem  Prinzip  „Frauen  suchen   Aus  den    Ausführungen  kann  gefol­  wird unterschätzt.
           Hilfe  –  Männer  sterben“  erscheint   gert werden, dass sich Depressionen
           der  Suizid  als  letztes  Mittel,  den   bei  Männern  oft  anders  als  mit  den    Männer vermeiden, ärztliche Hilfe
           männlichen Selbstwert zu retten.    klassischen  Depressionssymptomen   in Anspruch zu nehmen.
                                             äußern. Der Typus der „männlichen“
           Zahlreiche  epidemiologische  Unter­  oder „maskulinen“ Depression zeigt    Männer  kompensieren  teilweise
           suchungen belegen, dass Frauen im   sich häufig in Gereiztheit, Irritabilität,   depressive  Symptome  durch  Ver­
           Vergleich  zu  Männern  ein  zwei­  bis   Aggressivität, Ärgerattacken oder an ­   halten wie: Aggressivität, Überak­
           dreimal  höheres  Risiko  haben,  im   tisozialem  Verhalten.  Kriterien  kön­  tivität,  Risikoverhalten  und/oder
 „Wenn Frauen depressiv sind, essen   Für Depressionen ist ein Zusammen­  Aufgrund  der  zugewiesenen  Ge­  Laufe ihres Lebens an einer unipola­  nen  z. B.  auch  sein:  vermehrter  so­  Alkoholmissbrauch.
 sie etwas Schönes oder gehen ein­  hang  mit  „Stress“  nachgewiesen   schlech terrolle  kann  eine  ge­  ren  Depression  zu  erkranken.  Lässt   zialer Rückzug mit der Forderung in

 kaufen, Männer überfallen ein ande­  (z.B.  durch  überhöhte  Cortisolspie­  schlechtstypische  Depressionsent­  sich aus diesen Befunden schließen,   Ruhe gelassen zu werden, Abstreiten    Skalen zur Messung von Depressi­
 res Land“ – so beschreibt die ameri­  gel  im  Blut).  Zeichen  einer  durch   wicklung  vermutet  werden.  In  Un ­   dass Männer ein geringeres Depres­  von Kummer und Traurigkeit, andere   on  haben  eine  Geschlechterver­
 kanische Komikerin Elayne Boosler  chronischen  Stress  ausgelösten  an­  tersuchungen  zeigen  Männer  selten   sionsrisiko haben?   verantwortlich machen, süchtig nach   zerrung,  da  sie  einseitig  auf  de­
 die unterschiedlichen Bewältigungs­  dauernden  Stimulation  der  HPA   typische „weibliche“ Symptome einer   Nein. Angesichts der hohen  Suizid­  TV, Sport, Alkohol, Nikotin.  pressive  Verstimmung  und  Angst
 strategien der beiden Geschlechter   (Hypothalamus­Hypophyse­Neben­  Depression.  Männertypische  Anzei­  rate bei Männern muss vielmehr von   fokussieren (typischer für Frauen).
 bei Depressionen.  nieren)­Stressachse.  Wichtig  ist,    chen  sind  eher  erhöhte  Reizbarkeit,   einer  hohen  Dunkelziffer  ausgegan­  Wurden in einer Stichprobe von alko­
 unter  welchen  Bedingungen  Stress   vermehrter  sozialer  Rückzug  oder   gen  werden.  Da  Depressionen  die   holabhängigen  Patienten  neben  den    Um  Depressionen  bei  Männern
 Depressionen sind ein zunehmender   chronifiziert und wie Stress oren sub­  überhöhter Alkoholkonsum.  wichtigste  Ursache  für  Suizid  sind,   klassischen  Depressionssymptomen   besser diagnostizieren zu können,
 Grund  für  Arbeitsunfähigkeit  oder   jektiv wahrgenommen und verarbei­  muss  zwingend  angenommen  wer­  auch die untypischen, aber für Män­  müssen „männertypische“ Stress­
 eine stationäre Krankenhausbehand­  tet  werden.  Verantwortlich  hierfür   Frauen  sind  anfälliger  für  Bezie­  den, dass Depressionen bei Männern   ner  typischen  seelischen  Abwehr­  bewältigungsstrategien  systema­
 lung.  Trotzdem  wird  weiterhin  nur   sind individuelle Dispositionen, sowie   hungsstress und neigen zu  Selbstbe­  häufig  nicht  erkannt  und  nicht  be­  muster  erfasst,  konnte  ein  deutlich   tisch erfasst werden.
 eine Minderheit der an einer Depres­  die soziale Geschlechterrolle mit ty­  schuldigung  oder  Grübeln.  Männer   handelt  werden.  In  diese  Richtung   höherer  Prozentsatz  von  depres ­   Quelle:
 sion  Leidenden  medizinisch erreicht,   pischen Ver haltensnormen.  sind eher an sozialem Status orien­  verweisen auch die Ergebnisse inter­  siv  erkrankten  Männern  identifiziert   Prof. Dr. rer. soc. A. M. Möller­Leimkühler,
 was vor allem für Männer gilt.  tiert,  reagieren  auf  Stress  mit  dem   nationaler Bevölkerungsstudien.  wer den.   Ludwig­Maximilians­Universität  München



 14  Autor: Ernst Höfler, Oberarzt FAK  2020 / Ausgabe 34  2020 / Ausgabe 34                                      15
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