Page 13 - engelthaler-rundschau-34-2020
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TRANSIDENTITÄT  falschen Körper“ lebte, es bezüglich

           ihrer  weiblichen  Identität  also  kei­
           nerlei  Zweifel  gab,  sie  aber  viele
           schwierige  Situationen  von  Mobbing
           bis  hin  zu  gewaltsamen  Übergriffen
           erlebt hatte. Was blieb, war ein lang­
 EIN KLEINER AUSFLUG IN MEINE    wieriger  Prozess,  bereits  gemachte
           traumatisierende  Erfahrungen  auf­
           zuarbeiten und gemeinsam Perspek­
 PSYCHOTHERAPEU TI SCHE PRAXIS  tiven für ein Leben in der neuen Iden­
           tität zu entwickeln. Die Transidentität
           war  dabei  nur  die  Spitze  vom  Eis­
           berg,  darunter  verbarg  sich  ein
           Mensch in großer Not, der wie alle
           anderen  Patienten  einfach  einer
 Trans,  divers,  pan,  a­romantisch,     erhielten so die Möglichkeit sich mit   nem  beruflichen  Alltag  zwar  schon   psychotherapeutischen Behandlung
 a­sexuell, genderfluid, nonbinary, ...   den  Berichten  Betroffener  zu  iden ­   transidente Menschen begegnet sei­  mit vorurteilsfreier und wertschät­
 Es  scheint,  als  gäbe  es  eine  neue   ti fizieren.  Vor  diesem  Hintergrund   en,  ich  zwar  auch  nicht  das  Gefühl   zender Haltung bedurfte.
 Vielfalt  an  Gender­  und  sexuellen   möchte ich mich ein wenig der The­  hätte,  mich  „damit  auszukennen“,
 Orientierungen,  aber  ist  das  alles   matik  der  „Trans­Identität“  in  der   aber bereit sei, mich darauf einzulas­  In der Folge kam es immer häufiger
 wirklich so neu? Wahrscheinlich hat   Therapie  widmen.  Ich  benutze  be­  sen und zu versuchen, den Weg ge­  zu Anfragen transsexueller Jugendli­
 es all dies schon immer gegeben und   wusst den Begriff transident anstatt   meinsam mit ihrer Tochter zu gehen.   cher  sowie  in  Einzelfällen  über  die
 wurde nur anders oder gar nicht be­  transsexuell,  da  ich  der  Meinung   Eltern  auch  von  Kindern.  Immer
 nannt.  Männer,  die  Männer  lieben,   bin, dass es hier nicht um eine sexu­  Im Zuge dessen erfuhr ich erstmals,   mehr ließ ich mich berühren von den
 Frau en,  die  sich  als  Mann  fühlen,   elle Orientierung geht, sondern pri­  dass  alle  transidenten  Menschen   sehr  individuellen  Leidensgeschich­
 Menschen, die sich in ihrer sexuellen   mär um das tiefe Gefühl, im eigenen   eineinhalb  Jahre  Alltagstest­beglei­  ten, die hinter der Transidentität ver­
 Vorliebe nicht festlegen können oder   Körper  nicht  stimmig  zu  sein,  ein­  tende  Psychotherapie  nachweisen   borgen  waren  und  lernte,  dass  ich
 mögen, Menschen, die mit der Anla­  hergehend  mit  einem  großen  Ver­  müssen,  wenn  sie  (möglich  ab  dem   der  Thematik  nur  gerecht  werden
 ge beider Geschlechter geboren wer­  langen danach, im gegengeschlecht­  18. Lebensjahr) bei der Krankenkas­  kann, wenn ich mich offen dem ein­
 den  etc.  Geändert  hat  sich  jedoch,   lichen  Körper  und  damit  in  der  ei ­   se  einen  Antrag  auf  geschlechtsan­  zelnen  Menschen,  und  bei  den  Kin­
 wenn auch nur sehr mühsam, der ge ­   gentlich  empfundenen  Geschlechts­   gleichende  Maßnahmen  (sämtliche   dern  und  Jugendlichen  natürlich   Infomaterial:
 sellschaftliche und persönliche Um ­   identität leben zu können.  Operationen, die notwendig sind, um   auch dem familiären Umfeld, widme.
 gang damit. Während z.B. in Deutsch­  das  neue  Geschlecht  anzunehmen)   Daneben begann ich mich in Arbeits­
 land  sexu elle  Handlungen  zwischen   stellen wollen. Ich war zunächst ver­  gruppen mit Kolleginnen und Kolle­  VIDEOS
 Personen  männlichen  Geschlechts   Erfahrungen  unsichert, sollte es hier um eine Art   gen zu vernetzen und zu informieren.
 noch  bis  1994  als  Straftat  geahndet   Zwangstherapie gehen, um die Pati­  Meine  größten  „Informationsquel­  https://youtu.be/HDBcG66K6gY
 wurden (§175 STGB), wird bereits seit   Ich blicke auf eine 40­jährige Berufs­  enten vielleicht doch noch umzustim­  len“  bleiben  jedoch  bis  heute  die
 1970 auf dem Christo pher Street Day,   erfahrung in Beratung und Therapie   men,  oder  um  einen  Reflexionspro­  Betroffenen  selbst,  die  ich  auf  ih ­  https://youtu.be/141CcfynjuM

 einem Fest­, Gedenk­ und Demonst­  zurück,  davon  die  letzten  12  Jahre    zess, um sicher zu sein, dass man die   rem  Weg  begleiten  darf  und  die  so   https://youtu.be/WzXowCHGO6c
 rationstag von Lesben, Schwulen, Bi­  in  eigener  Praxis  als  Kinder­  und    Umwandlung  auch  wirklich  wolle,   selbstverständlich  ihr  Leid,  aber
 sexuellen  und  Transgender­Perso­  Jugendlichenpsychotherapeutin.  Mit   nachdem das Ganze letztendlich irre­  auch  ihr  Wissen  mit  mir  teilen.  So   https://youtu.be/iuRU0lucmrc
 nen,  für  die  Rechte  dieser  Gruppen   dem  Thema  Transidentität  war  ich   versibel  ist?  Oder  ging  es  nicht  vor   bin  ich  letztendlich  sehr  dankbar,   https://youtu.be/WwV7ENOTeek
 sowie  gegen  Diskriminierung  und   zunächst nur in Ausnahmefällen kon­  allem  um  die  Begleitung  auf  dem   dass ich mich auf diesen Prozess ein­
 Ausgrenzung de mons triert.  frontiert. Ich erinnere mich gut an die   schwierigen Weg eines jeden Trans­  gelassen  habe  und  berührt  von  den   ORGANISATIONEN/


 erste  Anfrage  in  der  Praxis:  Eine   identen, der einen tiefen Schmerz, oft   Menschen,  die  so  tapfer  ihren  Weg   SELBSTHILFE
 Im  Verlauf  der  letzten  25  Jahre,  si­  Mutter, die mich wegen ihrer transi­  bis hin zum Selbsthass über den „fal­  gehen. Ich möchte daher alle Betrof­
 cherlich  auch  begünstigt  durch  die   denten Tochter (biologisch ein Mann)   schen Körper“ mit sich bringt, häufig   fenen ermutigen, sich auf den Weg zu
 neuen Medien mit ihren unendlichen   kontaktierte,  für  die  sie  schon  seit   einhergehend  mit  sozialer  Isolation   machen und alle Therapeuten bitten,   https://www.trans­ident.de/
 Möglichkeiten  der  Information,  kam   Langem einen Therapieplatz suchte,   und  einem  tiefen  Gefühl  der  Sinn­   sich  dem  Thema  mehr  zu  öffnen,   https://www.dgti.org/
 es zunehmend zu einer gesellschaft­  und immer wieder die Antwort erhielt   und Wertlosigkeit oder gar Depressi­  letztendlich geht es wie bei allen an­
 lichen  Öffnung.  Zuvor  tabuisierte   „damit kenne ich mich nicht aus“. Ich   on? Bereits im ersten Gespräch wur­  deren  Patienten  um  den  Menschen
 Themen wurden mehr und mehr ge­  spürte in mich hinein, überlegte und   de schnell deutlich, dass die Patientin   mit  seinem  subjektiven  Leiden  und
 sellschaftsfähig  und  die  Menschen   sagte dann ehrlich, dass mir in mei­  von  klein  auf  wusste,  dass  sie  „im   nicht um die Diagnose.




 12  Gastautorin: Dipl.Soz.Päd.(FH) Rosemarie Krause, Kinder­ und Jugendlichenpsychotherapeutin  2020 / Ausgabe 34  2020 / Ausgabe 34  13
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