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„lipophil“, d.h. sie binden sich gerne   die  Tryptophan­Serum­Konzentrati­  In der groß angelegten Antidepressi­  proinsäure  scheiden  von  vorn he ­
 an Fettgewebe. Durch diese Konzent­  on vermindert, kann durch die weibli­  va­Studie STAR*D (Sequenced Treat­  rein  aus.  Falls  ein  unmittelbarer
 rierung  erreichen  Frauen  also  bei   chen  Geschlechtshormone  Östrogen   ment Alternatives to Relieve Depres­  Kinderwunsch  besteht,  sollten  nur
 gleicher Dosiseinnahme von SSRI ei­  und  Progesteron,  deren  Konzentra­  sion Study) mit 4000 eingeschlossenen   bestimmte  Antidepressiva  einge ­
 nen höheren Blutspiegel als Männer.   tionen  bei  Frauen  im  gebär fähigen   Patienten, in der zunächst bei Beginn   setzt werden, die auch während der
 Es erfolgt eine kontinuierliche Rück­  Alter  höher  sind,  weiter  gesenkt    der  Behandlung  ebenfalls  ein  leicht   Schwangerschaft  gegeben  werden
 diffusion des Medikaments vom Fett­  werden.  Auf  der  anderen  Seite  wird    besseres Ansprechen von Frauen auf   können, wie etwa die Serotonin­Wie­
 gewebe ins Blut, wenn dort der Spie­  bei Frauen durch die SSRI­Einnahme     den SSRI Citalopram erkennbar war ,   deraufnahmehemmer  vom  Beispiel
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 gel  absinken  möchte.  Damit  erklärt   die  Serum­Tryptophan­Konzentrati­  kamen  die  Autoren  in  ihrem  finalen   des Sertralins. Im Falle einer einge­
 sich das schnellere und bessere SSRI­   on mehr als doppelt so stark erhöht   Statement zur Aussage, dass es kei­  tretenen  Schwangerschaft  sind  wei­
 Ansprechen von Frauen bei gleicher   im Vergleich zu Männern. Östrogene   nen Geschlechtsunterschied im Anti­  tere Vorsichtsmaßnahmen zu beach­
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 Dosiseinnahme.  können  außerdem  die  durch  SSRI   depressiva­Ansprechen gibt .     ten.  Bei  depressiven  Störungen  in
 verursachte  Herunterregulation  des        der  Perimenopause  kann  auch  eine
 Wären bei der Studie von Kornstein et   5HT2­Rezeptors, ei ner zentralen Se­  Bei den Nebenwirkungen ist generell   Östrogensubstitution  sinnvoll  sein,
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 al. (2000)  die Medikamentenspiegel   rotonin­Bindungsstelle  des  Gehirns,   zu  beachten,  dass  SSRI  bei  männli­  v. a.  wenn  zusätzliche  Indikationen
 bestimmt worden und hätte man die   verstärken.  chen  Patienten  häufig  zu  Erektions­   wie  Hitzewallungen  oder  ein  Osteo­
 Ansprech­  und  Abbrechraten  damit   und  Ejakulationsstörungen  führen.   po roserisiko  bestehen.  Vorausset­
 statistisch  korrigiert,  wäre  mögli­  Die  Autoren  Scheibe  et  al.  (2003)    Frauen, die im Vergleich zu Männern   zung ist selbstverständlich, dass kei­  siva­Ansprechen  sind  jedoch  noch
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 cherweise  kein  Geschlechtsunter­  weisen allerdings darauf hin, dass  es    höhere  Plasmaspiegel  aufweisen,   ne Risikofaktoren oder Kontraindika ­   nicht  abschließend  geklärt.  In  einer


 schied  feststellbar  gewesen.  Die   vornherein nicht so deutlich behaup­  viele  kontroverse  Untersuchungs er ­   brechen  häufiger  eine  Therapie  mit   tionen  für  die  Östrogensubstitution    aktuellen Übersichtsarbeit beschrei­
 Kontrolle  der  Medikamentenspiegel   tet worden wie bei den SSRI. In einer   gebnisse zu angeblichen Geschlechts ­   trizyklischen Antidepressiva ab, dies   bestehen,  und  dass  eine  gut  in­  ben Puthko et al. (2020) , dass 9 von
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 ermöglicht  eine  Dosierung  des  An­  Studie von Khan et al. (2005)  zeigten   unterschieden in der Antidepressiva­  scheint in erster Linie bedingt zu sein   formier te Frau die Östrogensubstitu­  12 einschlägigen Studien eine Asso­
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 tidepressivums  im  therapeutischen   Frauen unter SNRI­Einnahme signifi­  Wirkung gibt. In ihrer Studie, bei der   durch vermehrte Gewichtszunahmen   tion wünscht.   ziation von einem hohen Body­Mass­
 Wirkbereich. Dies ist der anhand von   kant  höhere  Rückbildungsraten  als   385 Patientinnen mit schwerer, nicht­   oder  Kreislaufstörungen.  Allerdings   Index (> 30 kg/m ) mit einer schlech­
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 großen  Dosis­Wirkungs­Studien  er­  Männer. Auch die Effektgrößen waren   psychotischer Depression mittels ver ­   leiden  depressive  Frauen  im  Ver­  Für Männer interessant ist ebenfalls   teren  Antidepressiva­Wirkung  bei
 mittelte optimale Blut­Plasma­Spie­  bei  Frauen  (0,82  bzw.  0,75)  größer     schiedener  Antidepressiva  mindes­  gleich zu depressiven Männern mög­  die  Bedeutung  des  Fettgewebes    den  Substanzen  Nortriptylin  (TCA),
 gel,  der  bei  den  meisten  der  Be­  als bei Männern (0,44 bzw. 0,33). Die   tens  14  Wochen  behandelt  wurden,   licherweise insgesamt häufiger unter   im  Zusammenhang  mit  der  Anti de ­   Fluoxetin  (SSRI)  oder  verschiedener
 handelten  zu  einem  Wirkungserfolg   Dosen des Medikaments unterschie­  zeigten  sich  bezüglich  des  Medika ­   verstärktem Verlangen nach Kohlen­      pres siva­Behandlung.  Übergewicht    anderer  Medikamente  finden  –  und
 führt. Das sog. Therapeutische Drug   den sich jedoch nicht bezogen auf das   menten­An spre chens  keine  signifi­  hydraten  und  Essanfällen,  was  sich     sagt  möglicherweise  ein  tendenziell   zwar auch geschlechts un ab hängig.
 Monitoring (TDM) stellt also eine gute   Körpergewicht  der  PatientInnen.  Es   kanten Geschlechtsunterschiede zwi ­   in  Gewichtsveränderungen  nieder­  schlechteres  Ansprechen  auf  Nor­
 Möglichkeit  dar,  die  Medikamente   wird  also  auch  hier  vermutet,  dass   schen den Gruppen.  schlagen kann .  triptylin  (TCA)  voraus,  jedoch  nicht   Auch  für  die  Benzodiazepine  (z. B.
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 unabhängig  vom  Geschlecht  –  oder   die höhere Konzentration bei weibli­  von Escitalopram (SSRI). Bei überge­  Lorazepam,  Diazepam),  die  in  der
 gerade  unter  Berücksichtigung  der   chen  Patientinnen  durch  die  Anrei­  Wichtig bei Frauen ist es, die Interak­  wichtigen  Frauen  hingegen  wirkten   Depressionsbehandlung  eingesetzt
 geschlechtsspezifischen  pharmako­  cherung  lipophiler  Substanzen  im   Verschiedene Antidepressiva   tionen der Psychopharmaka mit Öst­  beide  Antidepressiva  schlechter  als   werden, um Angst und Spannung zu
 logischen  Besonderheiten  –  zu  ver­  Fettgewebe bei gleichzeitig geringe­  über 14 Wochen –    rogenen und hormonellen Empfäng­  üblich .  In  einer  Meta­Analyse  zu   lösen,  spielt  die  Fettgewebshypo­
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 ordnen. Dadurch lassen sich die Ne­  rem  Körpergewicht  zu  einer  besse­  kein signifikanter   nisverhütungsmitteln  zu  beachten.   Antidepressiva­Effekten  zeigte  sich   these  im  Zusammenhang  mit  Ge­
 benwirkungen  reduzieren  und  die   ren Wirkung geführt haben könnte.   Geschlechtsunterschied  So können orale hormonelle Kontra­  bei zusätzlicher Betrachtung des Bo­  schlechtsunterschieden  eine  Rolle.
 erwünschten Wirkungen optimieren.  zeptiva  den  Blutspiegel  bei  vielen   dy­Mass­Index (BMI) – insbesondere   Dies ist insbesondere dann zu beach­
 Außerdem  wird  als  geschlechtsspe­  70  Psychopharmaka erhöhen. Anderer­  bei übergewichtigen Männern – keine   ten, wenn in der Praxis offensichtlich
 zifische  Hypothese  angeführt,  dass   seits  können  manche  Psychophar­  Wirkung  von  SSRI  im  Vergleich  zu   nach  wie  vor  älteren  Frauen  häufig
 Gilt das für die Geschlechts­  sich die funktionelle Aktivität des se­  60  maka,  wie  zum  Beispiel  die  Stim­  Plazebo mehr. Ob dies in geschlechts­  Benzodiazepine statt antidepressiver
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 unterschiede bei den SSRI und   rotonergen  Systems  zwischen  Frau­  40  mungsstabilisierer  Carbamazepin   spezifischen  pharmakokinetischen   Medikation zur Behandlung ihrer De­
 den TCA oben Genannte auch   en und Männern unterscheidet . Eine   oder Topiramat, den Abbau von hor­  (Aufnahme­  und  Ausscheidungs­)   pression verschrieben werden . Die
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 für andere Antidepressiva­   akute Tryptophan­Reduktion (Trypto­  30  monellen  Kontrazeptiva  beschleuni­  Unterschieden mit letztlich bei Män­  ebenfalls  lipophilen  Benzodiazepine
 Gruppen?   phan  ist  eine  Aminosäuren­Vorstufe   20  gen  und  damit  ungewollte  Schwan­  nern  relativ  zu  niedriger  Dosis  pro    reichern sich wiederum im Fettgewe­
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 von  Serotonin)  hat  einen  stärkeren   gerschaften hervorrufen. Bei Frauen   kg Körpergewicht oder in pharmako­  be an und werden zusätzlich in höhe­
 Ja,  ähnliches  ließ  sich  auch  für     Effekt auf die Stimmung von Frauen     0  SSRI  TCA  SNRI  im  gebärfähigen  Alter  ist  vor  einer   dynamischen Unterschieden – ande­  rem  Alter,  bei  oft  eingeschränkter
 die  Gruppe  der  SNRI  (Selektive  Se ­   als  von  Männern.  Auch  die  höhe ­   Medikamentengabe  immer  auch  die   re Wirkung bei anderen Hormonver­  Nierenfunktion, langsamer abgebaut.


 ro tonin­  und  Noradrenalin­Wieder­  re  Häufigkeit  von  Depressionen  bei    Frauen   Männer  Möglichkeit  einer  Schwangerschaft   hältnissen,  beispielsweise  erhöhter   Die  daraus  resultierenden  erhöhten
 aufnahme­Hemmer, z. B. Venlafaxin,   Frauen im gebärfähigen Alter könnte   zu  eruieren.  Diesen  Frauen  sollte   Stresshormone  bei  Übergewicht  –   Wirkstoffkonzentrationen  im  Orga­
 Duloxetin, Milnacipran) zeigen, aller­  mit  geringeren  Serotonin­Konzen­  Ähnliche Ansprechraten (%) nach 14 Wochen auf   eine  sichere  Empfängnisverhütung   begründet  ist,  bleibt  unklar.  Die    nismus  führen  in  der  Folge  zu  Be­
 verschiedene Antidepressiva bei Frauen (N=184)
 dings ist hier der Geschlechtsunter­  trationen in Zusammenhang ste hen.   und  Männern  (N=104),  nach  Scheibe  et  al.   empfohlen  werden,  bestimmte  em­  Zusammenhänge  zwischen  einem   nommenheit  und  Schwindel  mit  ei­
 schied  hinsichtlich  der  Wirkung  von   Das Enzym Tryptophan­Pyrrolase, das   (2003) 7  bryotoxische  Medikamente  wie  Val­  Übergewicht  und  dem  Antidepres­  nem  erhöhten  Sturzrisiko  im  Alter.



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