Page 33 - ARTEMIS_Nr.9 (Weihnachten 2021)
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Michael Krickl
Abschrift aus: Mistelbacher Bote, 1927, Nr. 52
Stille Weihnacht
Magdalena Bruggraber hatte eben den letzten Teller
hinaus in die Küche getragen, das weiße Tischtuch
zusammengelegt und in die Lade geschoben. Nun setzte sie
sich in den weichen Lehnstuhl ihrem Manne gegenüber. Die
Petroleumlampe, die von der niedrigen Decke fast bis auf die
Tischplatte niederhing, legte einen warmen Schimmer auf das
Antlitz der zwei Leute und um die Gegenstände in dem kleinen Stübchen und machte dieses
recht heimlich und traut. Obwohl sie erst vor Monaten aus dem großen Schulhause, in dem
sie über vierzig Jahre zugebracht hatten, in die kleine, etwas niedrige und dumpfe Wohnung
übersiedelt waren, fühlten sie sich doch wohl. Sie ließen vielmehr nichts merken, dass es
anders wäre.
Mutter Bruggraber nahm vom Fensterbrett ein Buch und das Strickzeug, setze die
Augengläser auf und begann zu lesen und zu stricken. Ihr Mann las in der Zeitung. In dem
eisernen Öferl knisterte und burrte es, hie und da ging ein leises Klingen durch den Raum,
als läuteten die Weihnachtsglocken.
Nach einer Weile hielt sie inne und sah vom Buche auf: „Daß aber gar keins kommt
von den Kindern!“
Ihr Mann hörte nicht darauf, er war ganz in seiner Zeitung und vergaß dabei, dass noch
jemand hier war und mit ihm plauderte.
Sie hatte das Strickzeug in den Schoß sinken lassen und sah hinüber zu ihm: „Eins
hätte doch kommen können! Wenn ich schon nichts sag’ vom Georg, vom Hans, der
Karoline, der Leni, Mizzi und der Resi, aber die Hedwig oder der Theodor oder der - - -!“
„Was sagst?“ fuhr Georg Bruggraber auf, als ob er aus einem Traum erwachte.
„Du hörst ja einen nicht an, neben Dir könnt’ man die Sprach’ verlieren! - Kommen
hätte eins können!“
„Du bist recht spaßig! Wo täten wir’s denn hinlegen? Wir haben ja keinen Platz.“
„Ja freilich, Du hast ja recht. Aber ich kann mich halt noch nicht dreinfinden, dass wir
jetzt so ganz allein sind. Und grad’ an dem Christabend. Du weißt, wie schön der immer war,
wie froh sie alle waren und wir mir ihnen!“
„Mutter, nicht anfangen davon. Es tut Dir nicht gut. Das Leben ist einmal so, da lässt
sich nichts ändern. Es geht seinen Weg und wir müssen uns dreinschicken. Ein Nest wird
leer und zerfällt und zehn andere bauen sich auf. Geh, leg Dein Strickzeug weg und Dein
Buch und spielen wir ein bisschen Karten, dann zünden wir den Christbaum an, bevor wir
schlafen gehen.“
Stille Weihnacht Seite 1