Page 35 - ARTEMIS_Nr.9 (Weihnachten 2021)
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„Ja, ja, das waren selige Stunden!“ setzte Vater Bruggraber hinzu und seine Stimme
               zitterte.
                     „Und wenn’s manchmal zu arg wurde und ich Dich bat, hinauszugehen und Ordnung
               zu machen, da gingst Du, bliebst bei der Hoftür stehn, spreiztest die Arme in die Hüften und
               sprachst: ‚Ja, wos treibt’s denn?’ und dabei stand Dir das Lachen um den Mund und alle
               lachten sie mit Dir. Ja, so ein Vater warst Du!“
                     Und  Vater  Bruggraber  musste  lachen,  so  herzlich  lachen,  als  stünde  er  im  Kreise
               seiner frohen Kinder im Schulhof: „Hätt’ ich’s soll’n anders machen?“

                     „Nein, nein, hätt’s auch nicht anders gemacht! - Aber was der Hans getrieben, das war
               schon  manchmal  zu  viel!  Er  hat  uns  viele  schwere  Stunden  bereitet.  Ich  kann’s  oft  nicht
               fassen, wenn ich ihn heute sehe, inmitten seiner fünf Kinder, fleißig und gut! Wie doch die
               Menschen oft von selbst den rechten Weg finden und gut werden! Aber seinen drei Buben
               schaut der Spitzbub aus den Augen und das ‚Giftschiberl’ in die Höh! - Wie halt dem Vater!
               Dafür  durfte  er  auch nie  zur  Großmutter mitfahren.  Zur  Großmutter fuhren  sie  halt gar  so
               gerne. Ich sehe noch immer am ersten Ferientag den alten Eder beim Kriegler-Greisler um
               die Ecke fahren und sehe sie über den Schulberg hinunterlaufen, dem Alten entgegen, dass
               nur so die Röcklein flogen. Vorerst rannten sie zu  wiederholtenmalen auf den Dachboden
               hinauf, schauten gegen die Hochstraße, ob er denn noch nicht bald käme. Dann stiegen sie
               nimmer vom Wagen. Gerne wäre ich mit ihnen gefahren! - Aber bei uns waren immer Kleine
               im Neste, die die Mutter nicht fortließen! Und doch tat es mir wohl, wenn der „Wind“ sich im
               Schulhause auf eine Zeit legte. Du hast das nie so verspürt. So ein Mannsbild geht halt fort,
               wenn’s  daheim  zu  laut  wird.  Wenn  aber  die  Zeit  um  war  und  die  Ferien  vorbei,  dann
               schauten wir  vom Dachfenster nach der Hochstraße aus, ob sie der alte Eder denn noch
               nicht bald bringe!“ -
                     Dabei  stand  sie  auf,  nahm  vom  Schubladkasten  das  braune  Trühelchen  aus
               Nussbaumholz,  das  ihr  Georg  kunstvoll  geschnitzt,  setzte  sich  wieder  in  ihren  Stuhl  und
               entnahm ihm Bild um Bild: die Karoline, die Leni, die Mizzi, die Resi, den Georg, den Hans,
               die  Hedwig  und  den  Theodor  und  stellte  sie  links  und  rechts  neben  Adolf  und  auch  die
               Enkelkinder,  zehn  an  der  Zahl,  reihte  sie  dazu.  Ihre  Augen  wanderten  von  einem  zum
               andern,  maßen  ihre  Züge  und  verglichen  sie  und  da  war  ihr,  als  wären  sie  alle  hier  und
               säßen um sie herum und sie wäre nicht allein. - Ihr Mann hatte derweilen die Kerzlein am
               kleinen Tannenbäumchen angezündet, es vom Schubladkasten auf den Tisch gestellt, mitten
               in die Schar der Kinder, und leise summte er vor sich hin: „O Tannenbaum, o Tannenbaum,
               wie treu sind deine Blätter!“ - und Mutter Bruggraber sang mit.
                     Draußen heftete sich Flocke um Flocke an die kleinen Fensterscheiben, im Öflein sang
               wohlig  das  Feuer,  Harzduft  durchzog  das  Stübchen  und  Vater  und  Mutter  Bruggraber
               feierten Weihnachten, still und froh - mit ihren Kindern.



               Abgedruckt in: Michael Krickl: Geschichten aus dem Weinviertel. Band 2. S.221-226.

               (Hrsg. Irene und Detlev Gamon. Hüttendorf, 2012).
               Kontakt: gamon@aon.at oder Tel. 02572 32307.



               Stille Weihnacht                                                                     Seite 3
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