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• Kann ich wirklich sicher sein, dass es wahr ist?
freigiebige Preisgabe eigenen Wissens und ei- gener Erfahrung gegenseitig in der Zielerrei- chung unterstützen. Ein Mindset-bezogenes Entwicklungsziel, das sich jemand in diesem Kontext setzen könnte, wäre zum Beispiel: „Ich will besser darin werden, Widersprüche auszuhalten.“ Womöglich erhält er in seinem Circle dann den Tipp, dass es eine alte, aber wirksame Methode gibt, die genau dabei hilft: die Technik des dialektischen Denkens.
Kraft der Dialektik: Mit Widersprüchen leben lernen
Die Dialektik ist vorzüglich geeignet, mehr Flexibilität in den Denkmodus zu bringen. Sie ist quasi die Aufhebung des Dualismus. In der Dialektik gibt es das eine (die These) und das andere (die Antithese) und es gibt eine Synthese aus beidem. Kurz erklärt: Wer han- delt, trifft eine Entscheidung – und folgt da- mit immer auch einer These. Wenn die These beispielsweise lautet, die Arbeitswelt braucht für ihr Überleben in Zukunft Agilität, und die Antithese lautet, dass sie Stabilität benötigt, dann würde die Synthese lauten: Beides ist gut und richtig. Warum?
Agilität ohne Stabilität wäre als Zu- standsveränderung gar nicht erkennbar. Um zu erkennen, dass etwas agil ist, muss es vor- her stabil gewesen sein. Das bedeutet: Man kann den Gegensatz im Denken beseitigen, wenn man ihn nicht zeitgleich, sondern ab- folgend aufeinander denkt.
Wollen wir den Gegensatz im Denken aber bewahren, können wir klare Grenzen zwi- schen Agilität und Stabilität ziehen, indem wir genau definieren: Wann ist etwas in Be- wegung, wann ist es erstarrt? Woran ist das zu erkennen? Beweglichkeit zeigt sich zum Beispiel an zehn neuen Ideen pro Woche. Un- beweglichkeit in einem regelmäßig stattfin- denden allgemeinen Meeting. Starrheit dann, wenn ein Projekt aufgrund der Trägheit einer Abteilung mehr als vierzehn Tage ins Stocken gerät. Die bewusste Grenzziehung hilft, bei- des, Agilität und Stabilität, als – je nach Zeit, Situation, Kontext und Ausformung – glei- chermaßen gut zu begreifen.
In einem dritten Schritt geht es in der Dia- lektik um das Heraufheben auf eine höhere Stufe: Wir können uns fragen, was eigent- lich als Idee über Agilität und Nichagilität steht. Es ist die Anpassungsfähigkeit. Dass Agilität damit zu tun hat, ist klar. Dass aber Anpassungsfähigkeit die höhere Idee ist und diese als solche notwendigerweise auch das
Gegenteil von Agilität, die Nichtagilität, umfassen muss, dagegen weniger. Die dia- lektische Praxis hilft so, sich von einer „Richtig-Einstellung“ zu lösen und unter- schiedliche Haltungen zuzulassen.
Das Denken der Führungskräfte macht den Unterschied
Die Schritte Selbstwahrnehmung, Selbst- erkenntnis Selbstaktualisierung und Selbst- entwicklung sind eng verzahnt und können auch immer wieder neu durchlaufen werden. Je nach Mindset und Kontext ist es lohnend, eher an dem einen oder dem anderen zu ar- beiten.
In einem Unternehmen obliegt diese Arbeit am Selbst als Erstes den Führungskräften. Denn ihr Denken ist es, das den entschei- denden Unterschied macht. Künstliche In- telligenz übernimmt in unserer Arbeitswelt zwar mehr und mehr das Ruder – und ist in vielerlei Hinsicht dem menschlichen Den- ken überlegen. Doch was sie auf Sicht von Jahrzehnten nicht können wird, ist das, was Führungkräfte – die guten unter ihnen – können: etwas aufnehmen und es in Energie umwandeln. Sinn vermitteln. Entwicklung fördern. Orientierung geben und gleichzeitig Freiräume für Kreativität schaffen.
• Wie reagiere ich, wie fühle ich mich, wenn ich diesen Gedanken denke?
• Wer oder was wäre ich ohne diesen Gedanken?
Solche Fragen mögen banal erscheinen. Doch sie helfen, Demut davor zu entwickeln, dass es auch andere Wahrheiten jenseits der eige- nen Grundannahmen geben kann. Sie helfen, ein Gefühl dafür zu entwickeln, dass das, was wir sonst immer automatisch für wahr hal- ten, eine durch unsere Sinne und unsere Sicht gefilterte Welt ist.
Was ebenfalls dabei hilft, diese Sichtweise zu kultivieren, ist, sich mit konstruktivistischem Denken zu befassen. „Wahrheit ist die Erfin- dung eines Lügners“, schrieb einst der Phy- siker und Philosoph Heinz von Förster. Das zu erkennen, ist eine intellektuelle, es anzu- nehmen, eine emotionale Herausforderung. Doch wer wirklich davon überzeugt ist, dass er seine Wahrheit und Wirklichkeit selbst konstruiert, der kann mit diesem Wissen dem Leben anders begegnen als jemand, der in seiner Weltsicht gefangen ist. Denn er hält sich die Möglichkeit offen, die Dinge anders zu sehen als bisher – also seine Grundannah- men über sich und die Welt neu auszurich- ten. Diese Fähigkeit zur Selbstaktualisierung ist ein weiterer wichtiger Entwicklungsschritt auf dem Weg in ein flexibleres Mindset.
Selbstentwicklung funktioniert am besten mit anderen
Es lohnt sich, Reflexionen nicht nur allein durchzuführen, sondern regelmäßig auch gemeinsam mit anderen. Denn Selbstkennt- nis wird erst durch andere Menschen und deren Feedback – verstanden als wertfreie Rückmeldung – möglich. Auch ein weiterer Schritt auf dem Weg in ein agiles Mindset kann von Kooperation profitieren: die Selbst- entwicklung. Was möchte ich verändern, was üben, erproben, ausprobieren? Wie lerne ich das? Und: mit wem?
Das Konzept des Working out Loud nach John Stepper etwa ist besonders gut geeignet, um der Selbstentwicklung in der Gruppe eine Struktur zu geben. Ein Working Out Loud Circle trifft sich regelmäßig über zwölf Wo- chen hinweg, um eine vorgegebene Agenda abzuarbeiten. Jeder Teilnehmer setzt sich da- bei ein Ziel. Die Agenda dient dazu, ein Netz- werk entstehen zu lassen, dessen Mitglieder sich durch Feedback, Kommentare und die
Svenja Hofert
http://www.svenja-hofert.de
Die Autorin: Svenja Hofert arbei- tet als Management und Karriere- beraterin in Hamburg und bildet Coachs und Führungskräfte aus. Kontakt: www.svenja hofert.de
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