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Die deutsche Antarktis-Forschungsstation Neumayer-Station III bei Nacht
auf den dortigen Gletschern mit Bohrun- gen und seismografischen Methoden das Fließverhalten und das Abtauen des Eises mit Blick auf zuverlässige Vorhersagen zu untersuchen.
Die polaren Eisregionen spielen eine Schlüsselrolle im Klimasystem unse- rer Erde. Sie regulieren maßgeblich die globalen Wärmekreisläufe. Wie giganti- sche Eismaschinen kühlen sie die umge- benden Ozeane, treiben so die erdum- spannenden Wind- und Meeresströmun- gen an und garantieren uns das typische Klima unserer gemäßigten Breiten. Ein Beispiel ist das Klimaphänomen „El Niño“ im Südpazifik. Es löst weltweite Wetterturbulenzen aus – von Über- schwemmungen in Nordamerika über extreme Trockenheit in Australien bis hin zu besonders kalten Wintern in Europa.
Klimawandel
Vom globalen Klimawandel ist auch die Antarktis betroffen. Das Südpolarmeer erwärmt sich. Nach jüngsten Studien hat der Kontinent seit 2012 jährlich ca. 219 Mrd. t Eis verloren. Das abfließende Schmelzwasser hat den Meeresspie- gel um 0,6 mm pro Jahr ansteigen las- sen. Diese Eisschmelze trägt ein Drittel zum gegenwärtigen Anstieg des Mee- resspiegels bei. Ursachen für den Eis- verlust sind nach Erkenntnissen der For- scherteams u.a. wärmere Meeresströmun- gen. Seit 2000 lösen sich gigantische Eis-
berge vom Ross-Schelfeis. Diese Eisberge umfassten eine Fläche zwischen 5 500 und 11 600 km2. 2017 löste sich ein etwa eine Billion Tonnen schwerer Eisberg vom Larsen-C-Schelfeis. Mit 5 800 km2 war er fast siebenmal so groß wie Berlin. Wissenschaftler befürchten, dass sich mit dem Abbruch der Eisberge die neu entstandene Eiskante durch permanen- tes Krümeln weiter zurückzieht und das Schelfeis in absehbarer Zeit komplett zerfällt. In den letzten 25 Jahren sind bereits sieben Schelfeise an der Antark- tischen Halbinsel zerfallen oder stark zurückgegangen. Ist das Eis einmal ver- loren, kann das nicht einfach rückgän- gig gemacht werden. Wenn alle von Larsen-C aufgefangenen Gletscher ins Meer flössen, würde der weltweite Mee- resspiegel um ca. 10 cm steigen. Insge- samt ist in der Antarktis so viel Wasser als Eis gespeichert, dass der Meeresspiegel um ca. 60 m anstiege, würde der Eispan- zer komplett abschmelzen.
Neue Herausforderungen
Der globale Klimawandel, der zuneh- mende Tourismus und das Abtauen des Eises stellen den bislang durch den Ant- arktisvertrag geschützten friedlichen Kon- tinent vor neue Herausforderungen. Die in der Antarktis vermuteten Bodenschätze wie Erdöl, Erdgas, Kohle, Titan, Kupfer, Gold, Platin oder seltene Erden könnten angesichts schwindender Ressourcen auf
den Kontinenten, zunehmender geopoliti- scher Spannungen und einer schnell wach- senden Weltbevölkerung auf Begehrlich- keiten stoßen. Damit könnte das antarkti- sche Vertrags- und Schutzsystem ausge- höhlt, unterwandert oder sogar aufgelöst werden. So sollte 2018 die Konferenz der internationalen Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antark- tis eigentlich beschließen, das Weddell- meer nördlich der Antarktis unter beson- deren Schutz zu stellen und zum größten Meeresschutzgebiet der Welt zu erhe- ben. Bislang war dieses 1,8 Mio. km2 große Gebiet von der Fischerei weitge- hend verschont geblieben, auch weil große Teile von Eis bedeckt sind. Aber die Pläne der Kommission wurden u.a. von Russland, China und auch Norwe- gen blockiert. Jetzt wird erwartet, dass wegen des Klimawandels Fangflotten auf der Jagd nach Krill, Fischen und Walen dort hinkommen. Eine große Chance für ein Meeresschutzgebiet ist damit ver- tan. Ohne solche Schutzgebiete sind unsere Meere Bedrohungen wie Erder- wärmung, Plastikmüll und Überfischung nicht gewachsen.
Die Situation in der Antarktis ähnelt der im Weltall. Beides sind staatenlose Räume ohne Bevölkerung. Sie sind für Menschen schwer zugänglich. Doch die Eroberung des Weltalls hat längst begonnen. Es zeich- net sich ab, dass sich auch die Antarktis auf Dauer einer Eroberung nicht mehr entzie- hen kann. 7
Mensch.Schifffahrt.Meer.
Leinen los! 1-2/2021 23
Foto: Alfred-Wegener-Institut/Stefan Christmann/CC-BY 4.0


































































































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