Page 19 - Leinen los! 1-2/2024
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sage durch die Straße von Taiwan durch- führen zu können. Im Zusammenhang mit der „Taiwan-Frage“ sehen wir auch, dass sich die US Navy immer intensiver auf den Pazifik ausrichtet. Für uns kann dies die Notwendigkeit zur Übernahme von mehr Verantwortung an der Nordflanke der NATO bedeuten.
Und somit möchte ich nun den Fokus auf die Nordflanke der NATO bzw. auf Europa legen.
Der großflächige Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 mar- kierte eine klare Zäsur in der europäi- schen Sicherheitsordnung! Vier Tage nach Beginn des russischen Angriffs- krieges kam der Bundestag zu einer Sondersitzung zusammen und der Bun- deskanzler prägte seine Rede an die- sem Tag mit dem Wort des Jahres 2022: „Zeitenwende“! Die Bedeutung kriegs- tauglicher Streitkräfte stand 30 Jahre nach Ende des kalten Krieges wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Alleine das Wort „kriegstauglich“ im Zusammen- hang mit deutschen Streitkräften in der öffentlichen Debatte zu hören, war noch vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine absolut undenkbar. Ein weite- res Datum, welches insbesondere das Wesen der Deutschen Marine prägte, war der 26. September 2022. Der Tag nach dem Angriff auf die Nord Stream- Pipelines zeigte uns, wie verletzbar mari- time Kritische Infrastruktur ist.
Wie reagierte die Deutsche Marine auf diese Ereignisse:
Die Linie des damaligen Befehlshabers der Flotte Vizeadmiral Kaack war klar: „Nicht während unserer Wache!“ Jede verfüg- bare Einheit wurde insbesondere zur Ver- stärkung der NATO-Ostflanke entsen- det, um unseren Alliierten und Partnern zu zeigen, dass wir zu unseren Bündnis- verpflichtungen mit einem klaren und sichtbaren Commitment stehen! Die Sol- datinnen und Soldaten der Marine haben in dieser Zeit Beispielgebendes geleis- tet! Ein klares, schnelles und durchgrei- fendes Bekenntnis zur Sache, um unse- ren unabdingbaren Willen zu demons- trieren, Deutschland und unsere Verbün- deten zu schützen!
Viele Prozesse, lähmende diffusive Verant- wortlichkeiten und Vorgänge, welche in den letzten dreißig Jahren in die Struktur und Kultur der Bundeswehr und der Marine eingeflossen sind, wurden sichtbar. Das Momentum der Zeitenwende aufgreifend, haben wir eine Defizitanalyse getätigt und unserer zukünftige Ausrichtung mit dem Kurs 2035+ (alter Begriff Zielbild) festgelegt. Vier Gestaltungsprinzipien waren dabei maßgeblich:
y „Mass matters“ – denn Masse bedeu- tet auch Resilienz.
y Resilienz selbst – denn auch nach einem Schlagaustausch muss die Flotte/die Marine insgesamt noch funktionsfä- hig bleiben.
y Beiträge zu „Multi-Domain-Operations“ – weil Landes- und Bündnisverteidigung letztlich das Gefecht der verbundenen Waffen bedeutet (auch wegen der tech- nologischen Möglichkeiten zur Vernet- zung und Schwarmbildung).
y Zukunftsorientierung durch flexible Anpassung an den demographischen Wandel, bedrohungsminimierten Ein- satz des Personals und Einführung von unbemannten Systemen.
Während der Krieg in der Ukraine für Deutschland eine Zeitenwende bedeu- tete, ging dieser auch mit einem Para- digmenwechsel unserer Alliierten und der NATO selbst einher. Der Beitritt Finn- lands und der bevorherstehende Beitritt Schwedens zur NATO stellen ein geo- graphisches Novum für die NATO-Ver- teidigungsplanung dar. Während man- che nicht mehr von der Ostsee, sondern vom „NATO-Meer“ oder dem Mare Nostrum der NATO sprechen, gehen mit neuen Chancen auch neue Heraus- forderungen einher. Zwar können Finn- land und Schweden mit potenten See- streitkräften, welche auf die Küstenver- teidigung optimiert sind, auftrumpfen, jedoch gilt es auch 4000 km zusätzliche Küstenlänge zu verteidigen und die Ver- sorgung Finnlands, das in seinem Außen- handel zu mehr als 70 % von der Ostsee abhängig ist, sicherzustellen. Einhergehend mit dem Krieg in der Ukra- ine fand eine vollumfängliche Überarbei-
Die Korvette OLdenburg in See
Deutscher Marinebund
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Foto: Michael Nitz, Naval Press Service