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Mensch.Schifffahrt.Meer.
Den Anfang machte die Rückbesinnung auf eine nicht mehr ganz neue Technik, auf die Erfindung des nach seinem Kon- strukteur sogenannten Flettner-Rotors. Zwei Schiffe mit diesem Antriebssystem sind bereits Mitte der 1920er-Jahre in Fahrt gebracht worden, die BuCkau, ein umgebauter 455-BRT-Dreimastschoner mit zwei Rotoren, und die von der AG Weser gleich als Rotorschiff gebaute, mit 2077 BRT vermessene BarBara, die mit drei Rotor-Säulen ausgestattet war. Beide Schiffe hatten durchaus Erfolg, konnten sich aber letztlich nicht gegen Motorschiffe durchsetzen.
Die interessante eigentliche Idee für den Rotor-Antrieb geht zurück bis auf die Erkenntnisse Isaak Newtons (1643– 1727) und darauf basierende Untersu- chungen des Berliner Physikers Hein- rich Gustav Magnus (1802–1870), die sich mit der Kraftwirkung von rotierenden Objekten senkrecht zur Strömungsrich- tung beschäftigten. Klingt toll, und ist es auch. Die Ergebnisse wurden als Magnus- Effekt bekannt. Magnus, der sich eigent- lich mit dem Verhalten von Artilleriege- schossen beschäftigte, hatte mit seinen Recherchen, ohne es zu ahnen, auch die Basis für einen neuartigen Schiffsantrieb geschaffen, der jedoch erst sehr viel spä- ter die Schifffahrtswelt beschäftigte. Erst Anton Flettner (1885–1961) wusste Mitte der 20er-Jahre des vorigen Jahrhunderts diesen Magnus-Effekt für die Schifffahrt zu nutzen und erhielt das Patent für das „Verfahren zur Erzeugung des Quer- triebs an Quertriebskörpern, zum Beispiel
an Segeln von Schiffen“. Als „Segelma- schine“ wurde das System vereinfachend gelegentlich bezeichnet. Die von Flettner entwickelten Rotoren dienen als alterna- tive Segelflächen. Die rotierenden Zylin- der erzeugen bei entsprechendem Wind einen Sog, der das Schiff vorantreibt. Dieser Effekt funktionierte bei den bei- den ersten Schiffen BuCkau und Bar- Bara zwar problemlos, geriet dennoch in Vergessenheit. Böse Zungen munkel- ten, dass sich Hässlichkeit eben schlecht verkaufe, was aber zum Beispiel den fran- zösischen Filmer und Forscher Jacques Cousteau (1910–1997) überhaupt nicht schreckte, denn er rüstete Anfang der 1980er-Jahre sein Forschungsschiff Mou- lin a vent mit einem umweltfreundlichen „Windmühlen“-Zusatzantrieb aus. Spä- ter dann auch noch die Calypso.
Das erste „richtige“ Rotor-Frachtschiff der neueren Zeit kam Anfang August 2010 mit der E-ship 1 in Fahrt. Es war mit seiner Länge von 130 m und den vier 27 m hohen Rotoren sicherlich das in die- ser Zeit auffälligste Schiff der deutschen Handelsflotte. Eingesetzt wurde dieser weitgehend den Wind als Antrieb nut- zende Neubau sinnigerweise für den Transport von Windturbinen zu den Wind- parkstandorten in den internationalen Zielmärkten. Herzstück der E-ship 1 ist das kombinierte Antriebssystem, beste- hend aus einem 10 000 kW leistenden dieselelektrischen Standardantrieb der zwei Elektromotoren versorgt, auf die Antriebswelle wirkt und eine Geschwin- digkeit von 17 kn ermöglicht.
Ergänzt wird dieser Standardantrieb durch die vier Rotoren, die als Segel die- nen und durch den vorbeiströmenden Wind einen zusätzlichen Schub erzeugen. Die von ihnen aufgenommene Windener- gie wird dem vorhandenen Motorenan- trieb zugeschaltet, sodass dieser, je nach der auf die Rotoren wirkenden Windkraft, eine entsprechend verringerte Leistung erbringen muss und dadurch weniger Brennstoff verbraucht. Etwa ab Wind- stärke 7 kann das Schiff mit bis zu 17 kn auch allein von den Rotor-Segeln ange- trieben werden. So in etwa funktioniert das auch bei allen „Nachkommen“, und das sind inzwischen durchaus zahlreiche mit unterschiedlichen Formaten.
Die auch im Ausland verfolgten Erfah- rungen mit E-ship 1 waren wohl so inter- essant, dass der 1999 gebaute, unter fin- nischer Flagge fahrende RoRo-Frachter estraden (18 205 GT) 2014 mit einem und ein Jahr später mit einem zweiten Rotor nachgerüstet wurde. Er erhielt ein vom finnischen Unternehmen Norsepower unter dem Namen „Rotor Sail“ entwi- ckeltes System, mit dem laut Reederei 6 % Treibstoff im Jahr eingespart wer- den konnte.
Besonders aufschlussreich für die deut- sche Handelsflotte wurde jedoch die 2018 erfolgte Nachrüstung des 1997 gebauten, 90 m langen Mehrzweck- schiffes Fehn pollux (2824 GT) mit einem sogenannten EcoFlettner-Rotor. An der Entwicklung dieses auf dem Vor- schiff montierten 18 m hohen Rotors aus Faser-Verbundmaterial mit einem Durch- messer von 3 m und 37 t Gewicht waren 15 Unternehmen aus der norddeutschen Region beteiligt. Umfangreiche Test- fahrten ergaben, dass dieses moderne „Segel“ bei kräftigem Seitwind einen Schub liefert, der einer Maschinenleis- tung von 700 KW entsprach und so eine Treibstoffersparnis zwischen 10 und 20 % erbrachte.
Auch der Verband Deutscher Reeder attestierte dem Rotor ein Einsparpoten- zial von mindestens 10 % Brennstoff. Aller- dings käme dieser Zusatzantrieb bei Con- tainerschiffen eher nicht infrage, bei Bul- kern und Tankern hingegen schon, da für die Installation vor allem Schiffe mit freien Decksflächen geeignet seien. „Eine Rotorinstallation wie auf dem Testschiff Fehn pollux ist auf einen erheblichen Teil der Welthandelsflotte übertragbar“, hieß es. Das mache signifikante CO2-Einspa- rungen möglich. Manövrierfähigkeit und
E-sHip 1 beim Verlassen der Werft in Kiel 32 Leinen los! 1-2/2024
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