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Mensch.Schifffahrt.Meer.
Munitionschemikalien in Wasserproben
Matthias Faermann/GEOMAR
In der deutschen Ostsee liegen Schät- zungen zufolge rund 300 000 t Altmu- nition. Der Großteil stammt aus geziel-
ten Versenkungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Diese Versenkungs- gebiete sind bekannt, die Munition liegt überwiegend deutlich sichtbar auf dem Meeresboden und kann mit Tauchrobo- tern dokumentiert und kartiert werden. Doch sprengstofftypische Verbindungen breiten sich über die Versenkungsgebiete hinaus im Wasser aus. Diese Belastung wird mit fortschreitender Korrosion der Metallhüllen noch zunehmen und Risiken weiter steigen, wenn die Altlasten nicht geborgen werden. Steigende Temperatu- ren und zunehmende Stürme im Zuge des Klimawandels beschleunigen den Zerfall der Munition zusätzlich.
Eine aktuelle Studie des GEOMAR Helm- holtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, die vor kurzem im Fachmagazin Chemo- sphere erschienen ist, zeigt die anhal- tende Umweltbelastung durch Altmu- nition. Dafür wurden in den Jahren 2017 und 2018 Wasserproben aus der süd- westlichen Ostsee genommen, unter anderem in der Kieler und der Lübecker Bucht. Munitionschemikalien konnten in fast jeder Wasserprobe nachgewiesen werden. Die gemessenen Konzentratio- nen lagen meist weit unterhalb von Grenz- werten für Trinkwasser oder toxikologisch bedenklichen Schwellenwerten für Mee- resorganismen. In einigen Fällen näherten sich die Werte jedoch kritischen Konzen- trationen. Die Munitionschemikalien lagen
Für seine Untersuchung der chemischen Belastung mit sprengstofftypischen Verbindungen hat der Geochemiker Dr. Aaron Beck Tausende Wasserproben in der südwestlichen Ostsee genommen
überwiegend in gelöster Form vor und waren nur in geringem Maße an Schweb- stoffe oder Sedimente gebunden. Die Forschenden stellten fest, dass der aktu- elle Bestand an gelösten Munitionschemi- kalien in der Region etwa 3000 kg beträgt. Ohne Maßnahmen zur Bergung ist mit einem Anstieg der Kontamination zu rechnen, da die Metallhüllen durch Kor- rosion zunehmend zerfallen und dadurch kontinuierlich mehr chemische Stoffe freigesetzt werden. Dieser Prozess würde noch mindestens 800 Jahre lang andau-
ern. Die Studie unterstreicht, dass die chemische Belastung durch Munitions- altlasten ein internationales Problem ist. Die Forschenden empfehlen, versenkte Altlasten als „historische Kontaminanten mit wachsendem Besorgnispotenzial“ („historical contaminants of emerging concern”) zu betrachten und gezielt zu sanieren. Dr. Aaron Beck, Geochemiker am GEOMAR und Erstautor der Studie: „Im Gegensatz zu diffusen Verschmut- zungen liegt die Altmunition in konzen- trierter, bereits verpackter Form vor. Sie lässt sich also physisch aus der Umwelt entfernen.“
Die Bundesregierung hat ein Pilotpro- gramm zur Bergung und umweltgerech- ten Entsorgung von Munitionsaltlasten ins Leben gerufen. Mit einem Budget von 100 Mio. Euro wurden im Herbst 2024 erstmals gezielt Munitionsreste aus der Lübecker Bucht geborgen. In einem zwei- ten Schritt soll eine autonome Bergungs- plattform entwickelt werden, die die Alt- munition vor Ort entnimmt und unschäd- lich macht. Die Munitionsräumungen in Deutschland könnten als Modell für die Beseitigung solcher Abfälle auf der gan- zen Welt dienen. 7
20 Leinen los! 4/2025
Aus rostender Altmunition treten giftige Chemikalien in die Meeresumwelt aus
Foto: GEOMAR/AUV-Team
Foto: GEOMAR/Sarah Kaehlert