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Deutsche Marine
Marschallinseln oder Sierra Leone auf. Recherchiert man die Eigentümer, sind das meist irgendwelche Briefkastenfir- men in teilweise abgelegensten Regionen. Genauso dubios sind die Schiffs-Manage- ment-Firmen, die wiederum schlecht auf- findbar und greifbar sind und ebenso die Versicherungsverhältnisse. Nach einer Recherche der NZZ, der Neuen Zürcher Zeitung gab ein Schiff an, in Norwegen bei einer seriösen Versicherungsagentur ver- sichert zu sein, in Wahrheit war dort aber kein Schiff mit diesem Namen registriert. Die tatsächliche Versicherung war dann in Russland beheimatet, und es konnte nicht ermittelt werden, welche Deckungssum- men hier garantiert waren. Seit Kriegs- beginn schmiert Russland mit diesem undurchsichtigen Logistikkonzept sei- nen Kriegsapparat und lässt die Staats- kasse klingeln.
Aber die Schiffe der Schattenflotte ver- schleiern nicht nur ihre Auftraggeber und Eigentümer. Es wurde beobachtet, wie die Herkunft und der Lieferort von Öl dadurch verschleiert wird, dass „STS“ betrieben wird. Das bedeutet „Ship-to- ship“-Transport. Zwei Schiffe liegen an- einander längsseits und pumpen Öl von einem Schiff ins andere. Das findet meist im Mittelmeer statt unter Mithilfe lokaler Unternehmen, die Pump- und Fender- equipment stellen. Auch in Ländern, die die Sanktionsliste gezeichnet haben. Zur Verschleierung solcher Aktionen werden falsche AIS-Positionsmeldungen genutzt. Der größte Teil des exportierten Öls wird nach Indien und China befördert und dort in Raffinerien zu Benzin, Diesel oder Kero- sin verarbeitet. In Indien gibt es Raffine- rien, an denen russische Staatsbetriebe zur Hälfte beteiligt sind. Hier schließt sich also wieder der Kreis. Und ein Teil der raf- finierten Produkte wird auch in Länder der EU verkauft, die in ihren Sanktionen nur drinstehen haben, dass kein russisches Öl gekauft werden darf, nicht aber indisches Benzin. Soweit zum „Wirtschaftskreislauf“ mit den Schiffen der „Schattenflotte“.
Die EvEntin wurde unter Leitung des Havariekommandos auf den Haken genommen und in eine sichere Position vor Sassnitz geschleppt und dort gesichert
Die Schattenflotte als Teil der hybriden Kriegsführung
Die Schiffe der Schattenflotte tauchen in den letzten zwei Jahren immer wieder als Teil der hybriden Kriegsführung Russlands gegen den Westen auf. Dabei haben sie nicht Aufgaben wie die zahlreichen „For- schungsschiffe“, die vor allem an der Aus- spähung und Dokumentation der westli- chen Unterwasserinfrastruktur interessiert sind. Sie werden eingesetzt, um Untersee- Datenkabel und Energietrassen zu zerstö- ren. Mehrfach schleiften Schiffe, teilweise über Hunderte Kilometer, ihren Anker über den flachen Grund der Ostsee und durchtrennten Daten- und Elektrokabel. Nicht immer konnte eindeutig der Verur- sacher ermittelt werden. Wo Besatzungen vernommen wurden, redeten sie sich mit „Versehen“ oder „nicht bemerkt“ heraus. Erschwerend kommt hinzu, dass sich diese Schiffe hinter dem hohen rechtlichen Gut des freien Seeverkehrs verstecken, das einem Schiff selbst dicht an der Küste die rechtliche Freiheit des offenen Meeres zuerkennt. In diesem Zwiespalt bewegen sich staatliche Sicherheitsbehörden. Wohl wissend, dass Russland der Auftraggeber für solche Aktionen ist, kann wegen der Diffusion aus Flaggenstaat, Schiffseigner, Auftraggeber und Versicherer kein direk- ter Weg nach Russland völkerrechtlich wirk- sam nachgewiesen werden. Russland will mit diesen Aktionen testen, wie resilient
der Westen ist, wo er verwundbar ist und wie er reagiert.
Der Westen bleibt aber nicht untätig. Die EU hat mittlerweile eine Sanktions- liste erstellt, auf der namentlich bisher 79 Schiffe aufgeführt sind, die wegen ver- schiedener Auffälligkeiten sanktioniert werden. Das bedeutet, sie dürfen keine EU-Häfen mehr anlaufen, werden nicht mehr unterwegs versorgt oder nicht mehr von Lotsen durch bestimmte Seegebiete geleitet. Auch in der NATO kümmert man sich verstärkt um die Problematik. Insbe- sondere seit dem Vorfall vor der finnischen Küste kurz vor Weihnachten 2024, als das Tankschiff EaglE S, unter Flagge der Cook- inseln fahrend, das Stromkabel Estlink 2 zerstörte. Die finnische Küstenwache stoppte das Schiff, bevor auch noch Estlink 1 zerstört werden konnte. Bei der Aktion verlor die EaglE S den Anker. Die finnische Küstenwache entdeckte die Unterwas- ser-Schleifspur und fand den verlorenen Anker, hatte somit eindeutige Beweise und legte das Schiff an „die Kette“. Die Besatzung, bestehend aus Georgiern und Indern, wurde mehrere Wochen vernom- men. Das Schiff wurde im März 2025 wie- der freigegeben, drei Besatzungsmitglie- der befinden sich in finnischem Gewahr- sam und werden angeklagt.
Der Vorfall löste bei den westlichen Ost- see-Anrainern und der NATO Alarm aus. In der kurzfristig angesetzten Ostsee- Anrainer-Konferenz am 8. Januar wurde beschlossen, die Operation Baltic Sen- try zu starten. Eine überwiegend mari- time Operation, bei der es primär darum geht, ein stetiges Lagebild der nicht-
2. März 2025: Das Hochsee-Patrouillen- boot turva (vorne) des finnischen Grenz- schutzes eskortiert nach der Freigabe den auf den Cookinseln registrierten Öl- tanker EaglE S in der Nähe von Porvoo, Finnland
Leinen los! 4/2025 9
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