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Geschichte
Stimmungsmache „RIAS-Hören ist Sabotage am Trommelfell“, 1953
kutter blieben von der VP-See südwestlich von Bornholm nicht verschont. Am 19. Juni um 6.40 Uhr funkte R-Boot 514: „Zerstörer 712, Nationalität unbekannt auf Position 54° 50,1`Nord und 14° 9`Ost mit Ostkurs gesichtet“. Vermutlich handelte es sich um einen russischen Zerstörer, den die Präsenz der R-Boote nicht beeindruckte.
Bei Annährung des KS-Bootes 124 nörd- lich Reede Warnemünde entfernte sich der Logger ROS 123 clara zetKin am 19. Juni mit erhöhter Fahrtstufe von West- auf Nordkurs gehend. Das führte zu der Annahme, dass sich das Fahrzeug der Kontrolle entziehen wollte. Der Logger wurde ca. 3 sm nördlich Tonne Warne- münde gestellt. Eskortiert von den KS- Booten 124 und 134 lief der Logger unter den staunenden Blicken der Ostseeur- lauber um 16.45 Uhr in Warnemünde ein. Die Kontrolle ergab keine Beanstandun- gen. Schulboote meldeten am 21. Juni um 0.10 Uhr: „1,5 sm nördlich Tonne Gel- len einlaufenden schwedischen Schoner lenia kontrolliert. Besatzung 2 Mann, Ladung Fisch, Zielhafen Stralsund.“ Den Anlass für das rigide Vorgehen gegen Fischkutter lieferte der Betriebs- leiter des Fischkombinats Sassnitz. Um das Übergreifen von Streiks auf den Betrieb zu verhindern, veranlasste er um 12.30 Uhr des 18. Juni für alle noch im Hafen liegenden Kutter (32), zum Fisch- fang auszulaufen. Mit den bereits am Vortag ausgelaufenen Kuttern befan- den sich 80 Fahrzeuge in See. Der Leiter der Grenzpolizei von Sassnitz vermutete, dass die Fischkutter in Richtung Westen flüchten wollten. Er meldete dies unbe- dacht weiter. Diese Annahme avancierte in der örtlichen sowjetischen Militärkom- mandantur zur Eil-Meldung nach Berlin „80 Fischkutter auf Westkurs!“ Obwohl der Stab der VP-See über ein Lagebild zum Fischfang in traditionelle Seege- biete verfügte, bestand das MdI auf den Einsatz der VP-See und Grenzpolizei See gegen angeblich nach Westen „flie- hende“ Fischkutter. Die 1. Gruppe erhielt Befehl, die Fischkutter mit Unterstützung der Grenzpolizei See in der Mecklenbur- ger Bucht abzufangen. Um 21 Uhr des 19. Juni nahm der MdI-Stab seine zuvor erteilte Anweisung zurück.
MdI-Stab im Lage-Chaos
Der Einsatzstab des MdI befand sich im Stasi-Ministerium in der Berliner Nor- mannenstraße. Generalmajor Kurt Wag-
ten Hafen der DDR einlaufen. Die Durch- führung des Befehls ist mit allen Mitteln, auch mit Waffengewalt zu erzwingen. Stündliche Lagemeldung.“ Der Chef des Stabes der VP-See, Konteradmiral Heinz Neukirchen, befahl um 16.23 Uhr für die vor Sassnitz operierenden Schiffe: „Alle ein- und auslaufenden Fischer- boote kontrollieren“. Die Boote der 4. Gruppe erhielten die gleiche Anwei- sung, mit dem Zusatz: „Kutter dürfen nur mit Genehmigung der Grenzpolizei auslaufen“. Dazu hatte KptLt Schneider Verbindung mit der Grenzpolizei aufzu- nehmen. Um 22.25 Uhr stellte der Grup- penchef der R-Boote die Anfrage, ob auch private Kutter einzubringen sind. In Kenntnis der Lage präzisierte der Chef des Stabes um 22.40 Uhr: „Fischkutter, die sich in See südlich des 55. Breiten- grades befinden, weiter fischen lassen. Alle Kutter, die in der Ostsee das Gebiet 55 Grad nördliche Breite und 12 Grad
westliche Länge überlaufen, sind in süd- lich gelegene Seegebiete zu verweisen. Bei Nichtbefolgung, einbringen.“ Am Morgen des 19. Juni erging die Weisung: „Alle ein- und auslaufenden Fischerkut- ter kontrollieren. Wenn Papiere klar, wei- ter laufen lassen und mitteilen, dass das Fischen über den 55. Breitengrad nicht gestattet ist. Im Weigerungsfall sind Fischer aufzubringen.“
R-516 meldete am 19. Juni um 2.18 Uhr: „4 volkseigene Kutter (SAS 23, 39, 52, 128) gestellt. Geleite sie nach Sassnitz.“ Das Aufbringen erwies sich als Fehl- entscheidung. Der Chef der Flottenba- sis Ost präzisierte: „Fischereifahrzeuge nur bei Fluchtverdacht einbringen, sonst fischen gestattet“. R-Boote kontrollier- ten vom 18. bis 19. Juni (6.52 Uhr) im Seegebiet Adlergrund die Fischkutter SAS 31, 115, 161, 241 und 242. Bis zum 20. Juni erhöhte sich die Anzahl auf 20 Fahrzeuge. Selbst 4 westdeutsche Fisch-
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