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Navy News
Schwedens Marine auf dem
Weg in die NATO Chancen und Herausforderungen
Sebastian Bruns*
Mit seinen bedeutenden geopolitischen, strategischen und militärischen Veränderungen, die sich aus dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ergeben, hat das Jahr 2022 das Potenzial, als ein Wendepunkt in die Geschichte einzugehen. Die Entscheidung Schwedens, die NATO-Mitgliedschaft zu beantragen, stellt in diesem Rahmen eine bedeutende Abkehr von seiner langen Tradition als bündnisfreie Nation dar. In die- sem Artikel werden einige Überlegungen zur schwedischen Marine angestellt, was sie einbringen wird, was die NATO von ihr braucht bzw. erwarten darf und welche Aussichten und Herausforderungen sich ergeben.
Die Tre Kronor-Marine wurde 1522 gegründet und kann somit auf eine sehr lange maritime Tradition
zurückblicken.
Seemacht und Geschichte
Der Status einer Seemacht hängt freilich nicht nur von der Größe der Marine eines Landes ab, sondern auch von der mariti- men Einstellung der Bevölkerung. Zum Vergleich: Die Deutsche Marine wird in diesem Jahr ihr 175-jähriges Beste- hen feiern – ein sehr viel bescheidene- res Jubiläum, nicht zuletzt aufgrund der
wechselvollen Geschichte. Seit ihrer Wie- dergeburt nach dem Zweiten Weltkrieg habendiewestdeutscheBundesmarine und die Deutsche Marine als Bündnis- marinen agiert, die in der Regel inter- national unter einem EU-, NATO- oder UN-Mandat operieren. Die schwedische Marine könnte sich an Deutschland ori- entieren, wenn sie versucht, eine Denk- weise zu entwickeln, die die nationale, territoriale und Bündnisverteidigung ver- einbaren muss.
Schwedens reiche Marinetradition kann dazu beitragen, die NATO zu re-navali- sieren. Das Atlantische Bündnis blickt auf
zwei Jahrzehnte landgestützter Opera- tionen zur Aufstands- und Terrorismus- bekämpfung bzw. den gescheiterten Staatsaufbau in Afghanistan zurück. All dies hat eine eher kontinental denkende strategische Kultur geformt. Die Anne- xion der Krim durch Russland im Jahr 2014 und der Einmarsch in die Ostukra- ine 2022 haben zwar zu einem fundamen- talen Wandel der Denkweise der NATO bei konventioneller Abschreckung und in der Kriegsführung geführt, doch bleibt die NATO trotz des „Nordatlantik“ im Namen kulturell sehr stark von Armee und Luftwaffe geprägt. Auch der rus- sische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird vornehmlich als Landkonflikt wahr- genommen. Angesichts der maritimen Komponente der neuen Ära – z.B. der russischen Unterwasseraktivitäten, Pipe- lines/Seekabel auf dem Meeresgrund, der Konzentration auf die Arktis, die Ost- see, das Schwarze Meer und das Mittel- meer sowie der zunehmend konfrontati- ven Haltung der chinesischen Marine in ihrem indo-pazifischen Hinterhof – ist es für die NATO aber höchste Zeit, sich auf die Seestrategie und die damit zusam- menhängenden Aspekte der Sicherheit ihrer Mitglieder zu konzentrieren. Schwe- dens Beitritt kann hier katalytisch wirken.
Die maritime NATO
Was Seestreitkräfte anbelangt, so wird die NATO derzeit von den großen und leistungsfähigen Marinen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und
Die schwedische Korvette HSwMS visBy während Northern Coasts 2019 bei der schwedisch-finnisch geführten Littoral-Task Group
20 Leinen los! 5/2023
Foto: Michael Nitz, Naval Press Service