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breitung eines verunglimpfenden Liedes über den Staatsratsvorsitzenden und gro- ber Schädigung des Ansehens des NVA- Offizierskorps in der Öffentlichkeit“ zum Matrosen degradiert und per 4. Mai 1983 aus der NVA entlassen. Im Juni 1990 gab man ihm im Wehrkreiskommando Arn- stadt den Befehl Nr. 20/90 (18. Mai 1990) des Ministers für Abrüstung und Vertei- digung zur Kenntnis. Er wurde zum Kor- vettenkapitän d.R. ernannt und mit 3.500 Mark (DDR) „Übergangsgebührnisse“ für 15 Dienstjahre abgefunden. Diejenigen, die ihn aus Profilierungssucht denunzier- ten und zu Fall brachten, fanden nie den Weg der Entschuldigung. 1999 erhielt Uwe Schnärz vom „Amt für Rehabilitie- rung und Wiedergutmachung“ (Schwe- rin) seine verwaltungsrechtliche Rehabi- litierung wegen „rechtsstaatswidriger Degradierung zum Matrosen und poli- tischer Verfolgung vom 5. Mai 1983 bis 2. Oktober 1990“.
Kulturelle Arbeit
Das kulturell-künstlerische Schaffen in der VM war vielfältig. Dazu gehörten Film-, Foto-, Keramikzirkel, Kabaretts, Arbeits- gemeinschaften „Schreibende“ und
NVA. Das Primat lag auf politisch. Mit der am 1. Juli 1974 erlassenen HdA-Ordnung profilierten sich die Häuser zu „Zentren des geistig-kulturellen Lebens“ der NVA. Das 1970 in Dranske eröffnete HdA (zuvor „Boddenblick“) mit dem Klubhaus in der 6. Flottille war bis März 1990 das geistig-kul- turelle Zentrum auf der Halbinsel Wittow. Lyrik verkam häufig zu platter Agitation, ähnlich dem Niveau der Zeitung „Neues Deutschland“. In Dichtungen und Songs überwog der von „oben“ geforderte klas- senkämpferische Stil bzw. Heroismus der Roten Matrosen. Bekanntheit erlangten humorvolle Gedichte von Heinz Naujo- kat: „Mittelwächter“, „Kujambel“ oder „Seemannssprache“. Sein Gedicht „Mari- nezwiebel“ nahm Bezug auf eine gern besuchte Gaststätte auf der Insel Use- dom. Besuchern tränte vom starken Bier- und Tabakdunst das Seemannsauge, auch ohne Zwiebelaroma. 1988/89 entstanden Essays mit kritischen Akzenten, eine Art neues Denken auch im Kulturellen.
„Mi-ku-Lei“
Bis Anfang der 80er-Jahre fand in den Dienststellen ein militärisch-kulturel- ler Leistungsvergleich statt, Mi-ku-Lei
Kapitänleutnant Uwe Schnärz auf U-Jagdschiff Typ Hai
ner weiß, wie es weiter geht!“ Ein Offi- ziersschüler rezitierte in drei Wettbewer- ben das gleiche Gedicht. Das ging so: Ein Kommandeur inspizierte die Einheit der Grenzbrigade Küste auf der Insel Greifs- walder Oie. Dort gab es zu Mittag Spie- geleier mit Spinat, jedoch waren zu wenige Gabeln da. Die Überprüfung der Einsatz- bereitschaft mündete in der Forderung „Gabeln müssen her!“ Damit errang er keinen vorderen Platz. Neben niveauvol- len künstlerischen Beiträgen tendierte der Mi-ku-Lei zu einer Farce.
In der VM existierten 18 Truppen-Bib- liotheken mit einem Bestand von ca. 200 000 Büchern. Hinzu kamen drei wissen- schaftliche Fachbibliotheken, die auch eine Ausleihe von „Sperrliteratur“ hatten. Das betraf Fachbücher zur Zeit- und Militärge- schichte der Bundesrepublik. Die impor- tierte „West-Literatur“ war nur Offizieren mit Sondergenehmigung zugänglich. Reichhaltig vorgehalten wurde Kriegs- und Memoirenliteratur sowjetischer Heer- und Flottenführer. Eher nachgefragt wurden Bücher, in denen sich DDR-Schriftsteller kritisch gesellschaftlichen Themen zuwen- deten und die SED-Politik in verschlüssel- ter Form anprangerten. Dazu gehörten u.a. Stefan Heym, Ulrich Plenzdorf und Ruth Werner. Ihre Werke erregten den Argwohn der ideologischen Gralshüter im SED-Polit- büro und Kulturministerium. 7
* Hermann Raum (1924–2010): 1947/48 Stu- dium Kunsthochschule Nürnberg, 1951– 1953 Studium Hochschule Grafik und Buchkunst Leipzig, 1955 Übersiedlung in die DDR, 1960–1976 Leiter Institut Kunstge- schichte Universität Rostock, 1962 Promo- tion und 1972 Habilitation Universität Ros- tock, 1978–1983 Professor an Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, 1977–1988 Vizepräsident Verband Bildende Künstler DDR, 1982–1989 Prorektor Kunsthoch- schule Berlin-Weißensee
Karneval 1983 in Peenemünde
„Malende Matrosen“, das Musizieren (Chöre, Sänger, Instrumentalgruppen, Shantys), Modellschiffbau, Bildhauerkunst usw. Zentren der kulturellen Arbeit bilde- ten 10 Klubhäuser und 3 Häuser der NVA (HdA) in Rostock, Stralsund und Dranske. Lt. Anordnung Nr. 17-1963 waren die HdAs eine „politisch-kulturelle Einrichtung“ der
genannt. An der OHS musste jede Lehr- gruppe eines Studienjahrganges einen künstlerischen Beitrag für den Kulturwett- streit liefern. Eine Jury entschied über Qua- lität und Platzierung. Es gab viel zu lachen, z.B. über einen Versprecher (?). In Anleh- nung an eine Losung zum X. Parteitag der SED dichte jemand: „Kampfkurs X – kei-
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Foto: Uwe Schnärz
Foto: Uwe Schnärz


































































































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