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Geschichte
Der Bendler-Block in Berlin, das ehemalige Reichsmarineamt
und auf der Doggerbank endenden Vor- stößen sowie einem eher zufälligen und strategisch folgenlosen Aufeinandertref- fen der beiden Schlachtflotten vor dem Skagerrak, wie festgenagelt im nassen Dreieck der Deutschen Bucht. Schließ- lich versank des Kaisers „Schimmernde Wehr“, nachdem auf Schiffen der Hoch- seeflotte auch noch per Meuterei die Novemberrevolution ihren Ausgang nahm, von eigener Hand in der Bucht von Scapa Flow.
Blankoscheck für Österreich
Im Sommer 1914 hingegen herrschte in der Marine noch ungetrübte Stimmung und der Kaiser segelte. Am 18. Juni trat er, so berichtet es Admiral Georg Alex- ander von Müller, Chef des Kaiserlichen Marinekabinetts, in seinem Kriegstage- buch, seine übliche Sommer-Sportreise nach Hamburg und Kiel an. Im Anschluss an die Elb-Regatten traf er am 24. Juni mit SMY HoHenzoLLern in Kiel ein, um dort am 28. Juni mit seiner Rennyacht meteor zur Segelwettfahrt auszulaufen. Als Admi- ral von Müller am Nachmittag mit dem Verkehrsboot HuLda dem Kaiser in See die Depesche mit der Meldung über das Attentat von Sarajevo überbringt, habe dieser nur gefragt, ob er, von Mül- ler, meine, „daß man das Race besser abbrechen soll?“. Dies meinte der Admiral sehr wohl, und so wurden erst einmal die Dinereinladungen für den Abend abge- sagt und am nächsten Morgen reiste der Kaiser zurück nach Berlin – um dort am 1. Juli einem 2 1⁄2-stündigen Vortrag über die Möbelausstattung der neuen HoHenzoLLern beizuwohnen. Tags darauf bescheidet er den deutschen Botschaf- ter in Wien mit dem Satz „Mit den Ser- ben muss aufgeräumt werden, und zwar bald“ und am 5. Juli, vom Reichskanzler Theodor von Bethmann Hollweg einen Tag später regierungsamtlich bestätigt, versichert er dem Botschafter Österreich- Ungarns in Berlin, dass die K.-u.-k.-Monar- chie selbst im Falle „ernster europäischer Komplikationen“, inklusive eines österrei- chisch-russischen Krieges, „in gewohn- ter Bundestreue“ auf die „volle Unter- stützung Deutschlands rechnen“ könne („Blankoscheck“) – zumal „Russland über- dies ja noch keineswegs kriegsbereit“ sei. Dann dampft der Kaiser zu seiner jährli- chen Nordlandeise mit der kaiserlichen Yacht HoHenzoLLern samt illustrer Reise- gesellschaft ab.
Kaiserliche Marine – unfertig
In der öffentlichen Wahrnehmung brach der Krieg wie ein Naturereignis aus. Und die Kaiserliche Marine, durch Flottenge- setze und -novellen nicht weniger als zur zweitstärksten der Welt geworden, war gleichwohl, so ihr Konstrukteur Großad- miral Alfred von Tirpitz, mit Kriegsbeginn „noch nicht fertig“ – ganz im Gegensatz zum Heer, das, wie der I. Oberquartier- meister im Generalstab, Alfred Graf von Waldersee, vollmundig meldete, „wie immer bereit“ sei. Die Marine lief hinge- gen weiter der britischen Flottenrüstung hinterher und ihr strategisches Konzept, dass einmal die britische Grand Fleet „herauskommen müsse“, so der Kai- ser, um sich, vorzugsweise bei Helgo- land, der deutschen zur Schlacht zu stel-
Erstürmung einer Höhe bei Verdun
len, stand zudem auf tönernen Füßen. Geahnt hatte man das schon vor dem Krieg: „Was machen Sie, wenn sie nun nicht kommen?“ So Tirpitz während eines Manövers im Jahre 1912 zum Flottenchef Admiral Friedrich von Ingenohl. Der aber hatte nur ein ratloses Schulterzucken für den Flottenbaumeister – ein Offenba- rungseid.
Britische Fernblockade
Und die Briten kamen tatsächlich nicht. Sie blieben vielmehr auf Distanz, sperrten per Fernblockade die Nordseeausgänge und brachten nahezu jeglichen Handels- und Versorgungsverkehr in das Deutsche Reich zum Erliegen. Und die stolze Hoch- seeflotte verblieb, bis auf einige teils mit erheblichen Verlusten wie bei Helgoland
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Foto: Hermann Rex Foto: Jörg Zägel