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Geschichte
Hindenburg, Wilhelm II. und Ludendorff in Spa
Hier hat mittlerweile der kaiserliche Hof- zug Einfahrt erhalten, dem gewesenen Monarchen wird nach einiger Beratung auf allerhöchste Anordnung von Köni- gin und Regierung als Flüchtling Asyl in den Niederlanden gewährt. An Gepäck wird nur das Nötigste mitgenommen: 28 Waggons mit 30 voll beladenen Möbelwagen, ein Waggon mit einem Automobil, 30 Waggons mit Stückgut. 1920 zieht man von Amerongen um in das Landhaus Doorn, einen alten Adels- sitz bei Utrecht, den die deutsche Reich- regierung für den Exil-Kaiser angekauft hatte.
In Doorn vertreibt er sich, wie schon im Kriege, die Zeit mit Holz sägen und hacken, und zwar in einem Ausmaß, dass man angesichts der täglich von ihm gefällten „Strecke“ schon um den Baumbestand des Parks von Haus Doorn fürchtet. Am 4. Juni 1941, im Alter von 82 Jahren, stirbt, umgeben von seinen Marinegemälden und bis zuletzt auf die Rückkehr auf den Kaiserthron hoffend, der letzte deutsche Kaiser an einer Lungenembolie. 7
das neutrale Belgien war ein übermüti- ger Plan, und er scheiterte“, so Sebas- tian Haffner. Moltkes Feldzug zur schnel- len Umfassung der französischen Haupt- streitkräfte bei Paris, dann Aufmarsch im Osten gegen Russland, bleibt in den Schützengräben hängen, er selbst wird, nervlich zerrüttet, durch General Erich von Falkenhayn abgelöst, die letzte eigenständige Personalentscheidung Wilhelms II. im Krieg. Im Übrigen ver- sprach der „Oberste Kriegsherr“ seinen Militärs, dass er davon absehen werde, sich in den Ablauf der Operationen ein- zumischen, tat dies fortan auch nicht und entzog sich nicht nur der Verantwortung, sondern überhaupt allen schlechten Nachrichten von der Front durch seine alte Taktik des Verreisens, oder, in dem er sich einfach mehrere Tage ins Bett legte.
Der Kaiser spricht noch am 4. August zur Eröffnung des Reichstags („Uns treibt nicht Eroberungslust“), lässt zwei Tage danach noch einen „Aufruf an das deut- sche Volk!“ ausgehen („So muß denn das Schwert entscheiden“) und verschwindet fortan hinter den Kulissen der nun einset- zenden Militäroperationen.
Asyl in den Niederlanden
„Wenn man sich in Deutschland einbildet, dass ich das Heer führe“, bemerkte er im November 1914, „so irrt man sich sehr. Ich trinke Tee und säge Holz und gehe spa- zieren, und dann erfahre ich von Zeit zu Zeit, das und das ist gemacht, ganz wie es den Herren beliebt.“ Und so hielt er es, bis er sich am Ende am Bahnhof von Eijsden wiederfand.
Literatur:
Clark, C., Wilhelm II. München 2008 Clark, C., Die Schlafwandler. Mün- chen 2013
Fischer, F., Griff nach der Weltmacht. Düsseldorf 1961 u. 2013
Haffner, S., Von Bismarck zu Hitler. München 1987
von Müller, G. A., Regierte der Kaiser? Göttingen 1959
Wilderotter, H./Pohl, K.-D. (Hrsg.), Der letzte Kaiser. Gütersloh, Mün- chen 1991
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