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Geschichte
Nuklearschiff otto hAhn Vom Hoffnungsträger zum Schreckgespenst
Hans Jürgen Witthöft
Angesichts der neu entfachten Diskussionen pro und contra Atomenergie erinnert sich heute noch kaum jemand daran, dass es in Deutschland außer den teils heftig umkämpften Kernkraftwerken als Teil der Ener- gieversorgung – drei der Meiler laufen immer noch – auch ein Schiff mit Kernenergieantrieb gegeben hat: die NS otto HAHn. Vor 50 Jahren wurden erstmals die Brennelemente ihres Reaktors ausgewechselt.
Beflügelt vom wirtschaftlichen Auf- schwung und dem technischen Fortschritt, investierten die Bundesre-
gierung und die westdeutsche Indus- trie in den Fünfziger- und Sechzigerjah- ren in die nukleare Energiegewinnung an Land. Gleichzeitig rückte auch die Nut- zung der Kernenergie für die Seeschiff- fahrt in den Fokus: Als alternative Energie- quelle schrieb man der Atomkraft enor- mes Potenzial zu. 1956 wurde aus diesem Grund in Geesthacht die Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt mbH (GKSS) gegründet. Sie sollte die Möglichkeiten für den mariti- men Einsatz der Kernenergie in der Schiff- fahrt intensiv erforschen und weiterent- wickeln.
1960 schließlich schrieb die GKSS den Bau für ein nuklear angetriebenes Handels- schiff aus mit ausdrücklicher Betonung, dass die Forschung Vorrang vor den mög- lichen Reisen mit Ladung habe. 1961 lie- ferten deutsche Werften Vorschläge für ein Handelsschiff ab, das sich für den Ein- bau einer solchen Antriebsanlage eignen könnte. Ursprünglich war ein Tanker vor- gesehen, die GKSS hatte jedoch auch um Alternativen gebeten. Die Wahl fiel schlussendlich auf einen von den Kie- ler Howaldtswerken angebotenen Erz- frachter. Am 27. November 1962 wurde im Hamburger Hotel Atlantic der Bauver- trag unterzeichnet und ein Jahr später der unter verschiedenen Modellen ausge- wählte Reaktor für den Antrieb bestellt. Die Baukosten waren mit 56 Mio. DM veranschlagt, von denen die EURATOM 16 Mio. DM übernahm. Schon damals gab es aber um die „Atomkraft“ reichlich Spe- kulationen. So wurde in einschlägigen Kreisen zum Beispiel gemutmaßt, dass das in Auftrag gegebene Schiff als Ver- suchsträger für künftige deutsche Atom- U-Boote dienen sollte. Es war nicht so! Am 13. Juni 1964 war der große Tag, in Kiel lief nach der Taufe auf den Namen otto hAhn das erste deutsche und euro- päische Frachtschiff mit Kernenergiean- trieb vom Stapel – ein Exot neben den damals üblicherweise mit Öl betriebenen Motor- und Turbinenschiffen. Unter den vielen begeisterten Zuschauern befand sich auch Otto Hahn (1879–1968), Kern- chemiker, Nobelpreisträger und Namen- geber dieses ungewöhnlichen Neubaus – des dritten zivilen Schiffes mit „Atom- antrieb“ in der Welt – nach dem sowjeti- schen Eisbrecher lenIn 1959 und der US- amerikanischen sAVAnnAh 1962. Es folgten noch 1970 die japanische mutsu und 1988
die sowjetische seVmorPut. Von weiteren sowjetischen/russischen Eisbrechern und den zahlreichen Kriegsschiffen über und unter Wasser etlicher Nationen soll hier nicht die Rede sein.
Die wesentlichen technischen Daten der als Erzfrachter ausgelegten otto hAhn- waren: Länge 172 m, Breite 23,4 m und max. Tiefgang 9,22 m. Die Vermessung betrug 16 870 BRT und die Tragfähig- keit 14 079 tdw. Zur Besatzung zählten 36 Mann. Als Antrieb diente ein sogenann- ter „Fortschrittlicher Druckwasser-Reak- tor“ (FDR) mit Wasser als Kühlflüssigkeit, der eine Leistung von 11 000 PS für eine Geschwindigkeit von 16 kn erbrachte. Der Reaktor war Ende 1963 bestellt worden. Seine Bauzeit dauerte vier Jahre, was als angemessen betrachtet wurde.
Ausheben des Reaktors 1981
Einfahren des Reaktorkerns
28 Leinen los! 3/2023
Foto: Hereon
Foto: HDW


































































































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